Editorial |
Zu den Gelegenheitsgedichten,
die Jura Soyfer schrieb, gehören auch jene über das Neujahr,
das in einer Reihe von seinen Texten eine Rolle spielt. Das nachfolgende
Gedicht betrifft die "Zukunft" als Jahr 1937:
Saß ein Weiblein, krumm und alt,/ An des alten Jahres Ecke;/
Unter ihr glänzt der Asphalt,/ Über ihr die Sternendecke./
Trug ein Schild - wie staunte ich,/ Als das Schildchen ich gelesen,/
Drauf ihr Name säuberlich/ Schwarz auf weiß gemalt gewesen!/
"Zukunft" las ich! Und ich hab/ Mund und Augen aufgerissen./
"Zukunft" las ich nochmals ab!/ Und fast hätts
mich umgeschmissen./ Doch da wurden wir schon mehr:/ Menschen schwirrten
an wie Fliegen,/ Sammelten sich ringsumher,/ Sahn zur Zukunft
hin und schwiegen... (JSGW, S.209.)
So manchem mag es nun wohl auch so ergehen, wenn er oder sie auf das
neue Jahrtausend sieht und bedenkt, was ihr oder ihm das Jahr 2001 bringen
wird:
- Es sieht auf keinem Gebiet in Österreich so aus, als ob ein Aufbruch
ermöglicht worden wäre. Wer immer das geglaubt hat, wurde
und wird mit Abbruch konfrontiert - nicht nur des Dialogs, sondern auch
der Leistungen bei erhöhten Zahlungen. Der Abbau der Konjunktur
durch den Abbau der Massenkaufkraft trifft alle - den Arbeitnehmer,
den Betriebsleiter und den Finanzminister.
- Schematische Ideologismen prägen die Veränderungen. Und
das auch noch in den Kernbereichen der möglichen Veränderungen.
Der Staat, die Universitäten, die Forschung, die künstlerischen
Einrichtungen sollen wie "Betriebe" geführt werden (wobei
als Modell Industriebetriebe - also alte Produktionsformen - dienen).
- Auch wenn der "Spuk" noch vor 2003 oder im Jahre 2003 beendet
wäre, haben die Umsetzungen des Regierungsprogramms langfristige
Folgen in vielen Bereichen. Das, was durch Kürzungen und Umstrukturierungen
jetzt im Bereich von Kunst, Wissenschaft, Betrieben, Auslandsbeziehungen
abgebrochen wurde, wird zum Teil Jahrzehnte brauchen, bis es wieder
aufgebaut ist. Und wesentlich höhere Mittel werden dafür aufgewendet
werden müssen.
- Die Kunst wird verdrängt - und mit ihr die Menschen als Individuen.
Das ist auch der tiefere Sinn einer Politik, die Kunst- und Kulturpolitik
als Umsetzung von Partei- oder Regierungspolitik versteht. Es wird -
gerade unter dem neuen Landeshauptmann in Kärnten - abgegangen
von Pluralismus, Phantasie, Gesellschaftsbezogenheit. Nicht mehr Rahmenbedingungen
soll die Kulturpolitik bereitstellen, sondern offensichtlich Ideologie
durchsetzen. Was an Demütigungen in diesem Zusammenhang erreicht
wurde, spricht nicht für, sondern gegen diese Regierung und die
Journalisten, die dies begrüßen.
- Damit hat die blanke Machtpolitik Einzug gehalten. Unsicher ist noch
immer, ob sich angesichts dieser Koalition der Rechtsstaat behaupten
wird können, wenn schon der Staat gegenüber der Zivilgesellschaft
gestärkt und die Zivilgesellschaft gegenüber dem Staat geschwächt
wird. Noch gibt es keine "politische Justiz", obwohl führende
Politiker sich lautstark dafür einsetzen und damit eine Basis für
Gewalt schaffen würden, wenn sie sich durchsetzen sollten. Aber
die Ideologisierung der Migration zeitigt bereits ihre negativen Folgen
im Zusammenhang mit der Finanzierung der Pensionssysteme, dem Wirtschaftswachstum,
dem Service, der Beziehungen zu anderen Ländern. Die In-Frage-Stellung
von Österreich als Ort internationaler Treffen der Verständigung
auch durch die angestrebte Einbindung in Militärbündnisse,
die Erhöhung des unproduktiven Konfliktpotentials sind weitere
negativen Folgen.
- Kennzeichnend für diese Regierung ist und bleibt das "Vergessen".
Immer wieder soll in diesem Zusammenhang an den Satz im Stück "Vineta"
von Jura Soyfer erinnert werden: "Das Vergessen ist das Denkprinzip
reifer Kulturvölker". Das mag nun nicht nur auf Prozesse mit
Zitaten zutreffen, die nicht mehr memoriert werden können. Wesentlich
schwerwiegender ist das "Vergessen" der Grundkonstellationen
und Katastrophen - der Folgen der antidemokratischen und selbst diktatorischen
Handlungsweisen in Österreich in den 20er und 30er Jahren, die
eine wesentliche Voraussetzung für die zunächst weitgehend
widerstandsfreie Besetzung das Landes waren, die Bedeutung der Anerkennung
der sozialen Interessen, die Bedeutung der (Friedens-)Kultur. Und es
mag wohl auch kein Zufall sein, daß gerade diejenigen, die zu
dieser Erinnerung beitragen wollen, einer unsicheren Zukunft entgegensehen.
- "Widerstand" allein wird zuwenig sein. Es kommt auf einen
umfassenden "Change" an, der weniger parteipolitische Züge
als vielmehr inhaltliche tragen sollte. Als Zentralelemente dieser grundlegenden
Veränderungen sollten in diesem Zusammenhang angesehen werden:
Demokratisierung im Sinne der Stärkung einer Zivilgesellschaft
zu der die Öffnung der "Öffentlichkeit", geeignete
Rahmenbedingungen für Künste, Wissenschaften und Forschung
und deren Transformationen, neue Kooperationsstrukturen in vielfältigen
Bereichen, ein neues Verständnis von Arbeit, Stellung der Frau,
Bildung, Migration, Vorstellungsbildungsprozessen usw. gehören.
- Der Grundgedanke dieser notwendigen Veränderung ist der, daß
nicht Existenzbedrohung, Zwang, Kampagnen, Instrumentalisierung usw.
eine produktive Gesellschaft ermöglichen, sondern Motivation, Partizipation,
geeignete Rahmenbedingungen für Entfaltung von Kreativität.
Doch gerade dies drückt sich nicht nur nicht in der "neuen
Regierungstätigkeit" in Österreich aus. Diese Regierung
ist aber insbesonders ein Symbol für Machttaktik und Machtausübung
(auch wenn Regierungsmitglieder das Wort "Kreativität"
gebrauchen, bleibt es für sie ein Schlagwort bzw. ein Slogan im
Sinne der Verwendung als Schlachtruf in Elias Canettis "Masse und
Macht").
- Die "Befreiung" wird daher wohl nicht als "weit ausholende(),
schwingende() Bewegung" (Metscher, S.6 in dieser Nummer) zu erwarten
sein. Es wird vielmehr zu fragen sein, wer in Parteien, Institutionen,
Initiativen bereit ist, Erinnerung zuzulassen, einen langfristigen Transformationsprozeß
mitzugestalten. Und diese Prozesse sind immer schwierig.
In diesem Sinne mag Jura Soyfers Gelegenheitsgedicht auch für 2001
aktuell bleiben: die Zukunft im Sinne nicht nur dieses Regierungsprogramms
schaut "alt" aus, wenngleich gerade nicht nur die "Weiblein"
nicht nur heute nicht nur die Sterne deuten...
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