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Nr.
1/2001 |
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Ulf Birbaumer (Wien) Olaf Arndt (Berlin/Hannover) / Rob Moonen (Tilburg) Stefan Gandler (Querétaro, Mexiko) Michael Schieder (St. Petersburg) BERICHTE Otto Tausig, Astoria / Neue Homepage-Adresse der Jura Soyfer Gesellschaft/ Soyfer in Tübingen/ Leon Askin über Jura Soyfer/ Bruno Kreisky Preis für Félix Kreissler / In Memoriam Walter Pass / Theater m.b.H. / Netzwerk Innovation / Die Rezeption des Exils in Österreich / Rezensionen / Wir sind von Theater umzingelt. Zum Stück Paradies von Franzobel
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Editorial | Schon im Vorfeld der sogenannten "Wende" in Österreich wurde einiges an Modellen und auch Begriffen ventiliert, das mit den Instrumentalisierungen der Kulturen für Macht vor allem auch im 20. Jahrhundert zu tun hatte. Und die Erfolge der Haider-Partei seit 1986 schienen zu bestätigen, daß es gerade Recycling ist, das mit oder ohne Anklänge an den Nationalsozialismus zum Erfolg führen könnte. Ein Begriff, der in diesem Zusammenhang verwendet wurde und wird, ist der Begriff "Volkskultur". Ein Begriff das wird in Beiträgen in diesem Heft gezeigt , der wie viele zentrale Begriffe gesellschaftlicher bzw. politischer Prozesse schillernd ist. Denn wie in der Massenkommunikation üblich, versuchen die verschiedensten Gruppierungen Wörter für ihr Profil nutzbar zu machen, wenn sich herausstellt, daß sie massenwirksam sind. Für den Begriff "Volk" gilt, daß er mit den "schönsten" Worten geschildert werden kann, selbst wenn die Folgen scheußliche sind. So heißt es dazu bei Friedrich Kluge im Etymologischen Wörterbuch der deutschen Sprache:
Tatsächlich zeigt sich aber nun, daß sich dieses Recycling-Konzept nicht aufgeht. Die Wandlungen selbst in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts waren zu tiefgreifend. Und das beginnende Scheitern dieses Recycling-Modells sollten all jene studieren, die sich zuungunsten von Künsten, Wissenschaften und anderen (potentiell) kreativen (gesellschaftlichen) Bereichen eben diesen Recycling-Modellen zuwenden, weil sie meinen, daß ihnen die Wiederbelebung der (reaktionären) Vergangenheit Mehrheiten sichert. In Wirklichkeit ist dies aber ein gefährliches "Spiel", da es fundierte Perspektivierungen nicht zuläßt. Und es ist geradezu ein Kennzeichen der Politik der heutigen Regierung in Österreich, daß zunächst auch in die Phase der Vorbereitung der Wende Intellektuelle einbezogen wurden. Es wurden große Kongresse initiiert. Tatsächlich dienten die "Vor-" und "Wendedenker" aber dann nur als Aushang. Wenn es zum Beispiel um die Familienpolitik ging, wurde etwas in die Praxis umgesetzt, das von den "eigenen" WissenschafterInnen anders gedacht wurde. Gerade im Zusammenhang mit diesen politischen Prozessen scheint es daher Kontinuitäten zu geben, die durchaus als "alte" Widerspruchsfelder erkannt werden können. Nehmen wir doch einige Figuren der Volksstücke und der Commedia dell'arte: Da sind einmal die "zerlumpten Gesellen", die Vagabunden oder wie man heute auch sagen würde: die Nomaden (wobei letztere Bezeichnung nicht unbedingt die gleiche soziale Gruppe benennt). Diese Gruppe, verstoßen im Prozeß der Modernisierung oder noch nicht anerkannt in einer beginnenden "neuen Zeit", bleibt auch heute auf Wanderschaft. Denn die Sozialgesetze, die Migrationsgesetze, selbst Ehegesetze, der Anti-Kulturalismus setzen auf Abschottung, Ausgrenzung, staatliche Gewalt zur Regulierung von sozialen Umbrüchen noch immer. Eine Figur, die ebenfalls in Volksstücken immer wieder vorkommt, ist die des Wissenschafters. In früherer Zeit nicht selten die komische, weltfremde oder der realen Macht verbundene Figur. Aber spätestens bei Soyfer wird sie im Stück "Weltuntergang" auch die zentrale Figur, die versucht, die Erde zu retten. Nur wird der Wissenschafter zwar empfangen (und die Wissenschafter heute bekommen sogar ein Frühstück oder ein Mittagessen vom Bundeskanzler), aber ernst genommen wird er nicht und sie schon gar nicht. Im Stück von Soyfer deutet sich also ein wesentlicher Wandel an, der aber bis heute nur zum Teil vollzogen wurde. Dann gibt es in den Volksstücken die Figur der "Oberen" als Ziel der Satire, des Spottes, der Verhöhnung. Und "klassischer" könnten sich verschiedene Politiker heute gar nicht verhalten, als dies nun unter der "neuen" Macht geschieht: Protektion, Freunderlwirtschaft und eine weitgehende Abgewandtheit von den tatsächlichen gesellschaftlichen Prozessen. Die Figuren der Volksstücke sind also wie Ulf Birbaumer vor einiger Zeit schon zeigte - durchaus nicht ausgestorben. Es sind Stücke, die zum Teil über Jahrhunderte ihre Gültigkeit behalten haben. Aber sind es deshalb schon die Stücke, die unter dem Begriff "Volkskultur" gefördert werden? Ist die Selbsttätigkeit der KünstlerInnen, der WissenschafterInnen, der ForscherInnen, der "Internet-Generation" nicht etwas, was eben mit dem Begriff "Volkskultur" heute nicht gemeint ist? Ist bei der Verwendung dieses Begriffes nicht Umverteilung zur eigenen Klientel, Restriktion gemeint auch unter Mißachtung wirtschaftlicher Interessen? Und hat nicht nur die Wahl in Wien gezeigt, daß "Volkskultur" etwas ganz anderes meinen könnte? Die Themen, die für die WählerInnen im Wahlkampf eine Rolle spielten, waren ganz offensichtlich nicht die Themen der FPÖ und auch nicht die Themen jener Kreise in der ÖVP, die seit den 80er Jahren die "Wende" herbeizuführen versucht haben und durch die Haider überhaupt zum politischen Faktor wurde. Vielmehr zeigt sich nun, daß diese Kreise um Alois Mock, um Teile der Industriellenvereinigung, um Politiker, die sich auch gegen christliche Grundwerte richten, dem Scheitern nahe sind. Und gerade jene Politiker, die wie Bernhard Görg zunächst die Koalition mit der FPÖ betrieben haben und als diese dann kam, gegen sie stimmten, haben ihre Probleme mit dem "Volk". Die Verwendung des Wortes "Prolet" durch Görg bei der Abschlußkundgebung des Wiener Wahlkampfes hat dies deutlich gemacht. Soyfer hat die Wirkung so dargestellt: "Und hier (knapp vor dem Auslöschen der Lampe H.A.) fiel das Wort "Prolet" und traf Zehetner ins Herz. Die Frau sah, was sie ihm angetan hatte, bereute sofort und versuchte, ihre Tat ungeschehen zu machen. Zu spät; Zehetners geheime Seelenwunde war brutal aufgerissen worden und tat bitter weh." (Soyfer, Prosa, Wien 1984, S.95.) Gerade aber mit solchen "Aufsteigern" wollte die "Elite" die "Wende" "machen". Aber auch die Wörter, die nun verwendet werden, zeigen die grundsätzlichen Widersprüche dieser ("Volkskultur")-Politik. |
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