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Zur Gegenwärtigkeit Jura Soyfers
Editorial
Ulf Birbaumer, Hilde Fein, Eva Feitzinger, Alfred Schleppnik
Zur Gegenwärtigkeit Jura Soyfers
Katja Sturm-Schnabl (Wien)
"[...] wie fraglich, wie empfindlich die Demokratie ist
[...]"
Giovanni Schininà (Catania)
Zu Globalisierung und Politik in Europa.
Eine zeitgeschichtliche Perspektive
Endre Kiss (Budapest)
Kritizistischer Positivismus und Nation
Andreas Hutter (Linz)
Wie Billy Wilder zum Film-Zyniker wurde.
Reporter im Wien der Inflationszeit
BERICHTE
Leon Askin zum 95. Geburtstag
"Broadway-Melodie 1492" im Volkstheater
"Erinnern und Vergessen als Denkprinzipien"
Veranstaltungen zum 90. Geburtstag Jura Soyfers
Werkausgabe in vier Bänden im Deuticke Verlag
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Editorial |
In Österreich ist eine völlig
neue Situation eingetreten: am 24.11.2002 wird gewählt. Und das gerade
rechtzeitig zum 90. Geburtstag von Jura Soyfer. Nicht dass es darum gehen
würde, hier eine Wahlempfehlung auszusprechen oder die Veranstaltungen
zum 90. Geburtstag als Wahlveranstaltungen zu verstehen (sie werden zudem
sowieso erst nach dem 24.11.2002 stattfinden (siehe dazu auch den entsprechenden
Abschnitt auf S. 25). Es geht vielmehr darum, etwas über die Kultur
in diesem Lande zu sagen (wozu gerade Soyfer viel zu sagen hat). Dazu
folgende Aspekte:
- So wie die Koalition zerbrochen ist und so wie der Wahlkampf geführt
wird, ist klar, dass es keine Mehrheit für eine rechte Politik
in diesem Lande gibt. Eine rechte Politik konnte sich seit den 80er
Jahren parteienübergreifend nur durchsetzen, weil ständig
mit der Beteiligung der Haider-FPÖ an der Regierung gedroht wurde.
- In der FPÖ war klar, dass sie als gespaltene Partei in den Wahlkampf
gehen muss, wenn annähernd die Stimmen erreicht werden sollen,
die 1999 erreicht wurden. Die Sozialdemagogie – Signale für den
"kleinen Mann" setzen und eine anti-soziale Strategie verfolgen
– war der Kern. Es ist daher auch klar, dass eine Strategie, die auf
die Maximierung der eigenen Stimmen aus diesem Stimmenfeld baut, nicht
mehr zusammen mit der FPÖ die Mehrheit erlangen kann.
- Diejenigen, die für die "Wende" aus sehr unterschiedlichen
Gründen waren, haben auf wirtschaftliche und demokratische Aspekte
gesetzt. Die wirtschaftlichen Zielsetzungen sind klar gescheitert. Und
mehr Demokratie ist keineswegs entstanden. Denn um mehr Demokratie konnte
es bei einer Regierung gegen die Mehrheit der Bevölkerung auch
nicht gehen (da können die Meinungsforscher zu anderen Ergebnissen
kommen, wie sie wollen). Es ging vielmehr darum, dass eine Personalpolitik
ermöglicht werden sollte, die eine Voraussetzung für den Machterhalt
ist.
- Die These, dass sich die Demokratie nun durchsetzen wird, wenn Rot-Grün
sich durchsetzt, ist zynisch. Sie geht über die geschehenen Zerstörungen
hinweg und machen an bloß oberflächlichen Erscheinungen (wiederum)
ihre Argumentation fest. Die konkreten Schicksale sind hier offensichtlich
gleichgültig. Lamentiert wird nur, wenn es sich um die eigene Person
handelt.
- Im Kern geht es aber um eine neue Politik. Den Wahlkampf als Personenwahlkampf
anlegen zu wollen, verrät, dass man zu den Inhalten nichts zu sagen
hat. Das gilt auch für jene Intellektuellen, die sich vor 1999
in der Zeit relativer Toleranz kritisch gebärdet haben, um die
es aber nun ziemlich still geworden ist. Nicht, dass ihnen die Politik
zwischen dem 4. Februar 2000 bis heute gefallen hätte. Im Gegenteil:
Es findet sich keiner, der offen die Kernelemente dieser Politik verteidigt.
Ihr Problem ist, dass sie keine Vorschläge zu machen haben. In
ihrer Kritik spiegelt sich meist Zynismus, Ratlosigkeit und Verzweiflung.
Nicht umsonst wird auch von dieser Seite nach "Machern" gerufen.
- Ein Blick auf die gesellschaftlichen Veränderungen zeigt, dass
hier der wahre Kern der Probleme liegt. Wie im 19. Jahrhundert werden
"Männer" in den Mittelpunkt gestellt. Sie haben zwar
in einer hocharbeitsteiligen Gesellschaft keine Chance, relevante Entscheidungen
zu treffen. Sie eignen sich aber als "Figuren" für Projektionen
und die Durchsetzung von Gruppenpolitik gegen Mehrheiten. Längst
hat sich dagegen auch in den Wissenschaften und der Wirtschaft die Erkenntnis
durchgesetzt, dass es um Netzwerke, Öffentlichkeit, Datenbanken,
Demokratie geht. Was gebraucht wurde und wird, ist eine "Wissensgesellschaft",
die nicht auf Bildung als Steuerung baut, auf Ranking als gegenseitiges
Ausspielen mit fragwürdigen Bewertungsgrundlagen, wie das verschiedentlich
in Europa zu beobachten ist, sondern auf die Fähigkeit, sich als
Individuum in heutige Prozesse einzubringen und die Möglichkeit,
diese auch mitzugestalten.
- In diesem Zusammenhang soll wieder hervorgehoben werden, dass eine
bäuerliche oder industrielle Lebensweise, die im wesentlichen auf
Reproduktion aufbaut, eine völlig andere Ausbildung erfordert,
als eine Gesellschaft, in der eigenständiges Handeln eine wesentliche
Grundlage ist.
- Die Politik von denjenigen, die "weniger Staat" propagiert
haben, lief bisher stets darauf hinaus, dass das Staatsdefizit vergrößert
und die Gewaltapparate ausgebaut wurden. Dies ist auch an der Wende-Regierung
zu ersehen. Nichts kam, um die Wirtschaft zu stimulieren (die Hochwasser-Hilfe
in diesem Zusammenhang anzuführen, ist mehr als zynisch). Stattdessen
wurde verkauft und eingefärbt. Es gibt keine relevanten Entscheidungen,
die die neuen Entwicklungen zu mehr Selbständigkeit zur Kenntnis
nehmen. Es wird nicht im Sinne einer Gesellschaft, sondern von Gruppen
Politik gemacht, was zu erheblichen Konflikten geführt hat.
- Geht man von den Wahlkampfkonstellationen aus, ist völlig klar,
dass eine soziale Umverteilung auch nicht im Ansatz eine Mehrheit hat.
Völlig klar ist auch, dass mehr Mitentscheidung gewünscht
wird. Und es gibt sicherlich nicht nur für die Wirtschaft, sondern
auch für die Sozialempfänger aller Art Möglichkeiten
zur Erleichterung des Lebens. Vor allem wäre zu erkennen, dass
nur diejenigen politischen Gruppierungen eine Zukunft haben, die in
der Lage sind, gegenwärtige und künftige Kultur zunächst
einmal zu akzeptieren. Das betrifft das Zusammenleben (wo die Rechte
immer noch mit Mitteln des Staates ihre ideologischen Vorstellungen
durchzusetzen versucht, während bei konservativen und bürgerlichen
– auch mit christlichem Glauben – sich längst anderes durchgesetzt
hat), die Notwendigkeiten einer anderen Bildungspolitik, aber auch ein
wirtschaftliches Denken, das in der gemischten Wirtschaft unter Prinzipien
des offenen Wettbewerbs unter sozialen und ökologischen Gesichtspunkten
eine praktikable Möglichkeit sieht.
- Es geht daher keineswegs nur um die Wahl am 24.11.2002, so zentral
sie anzusehen ist. Es geht vielmehr – ganz im Sinne Jura Soyfers – darum,
eine Umgestaltung auf breiter Basis zu ermöglichen und die Politik
der "Tricks" und "Listen" ad acta zu legen. Dafür
ist sicherlich eine breite Mehrheit vorhanden.
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