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Nr.
4/2003 |
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Wien/Europa/Globalisierung Herbert Arlt (Wien) Die Emanzipation der Stadt vom Staat – Online Interview mit Rainer Bauböck (Akademie der Wissenschaften, Wien) "Der Kultur als einer wesentlichen Trägerin gegenseitigen Verständnisses kommt bei diesem Vorgang eine Schlüsselrolle zu" – Online Interview mit Michael Ludwig "Hier in Centrope liegt ja gewaltiges Potenzial" – Online Interview mit Andreas Schieder "In der österreichischen Kulturpolitik weht schon länger der Wind der Globalisierung" – Online Interview mit Henrike Brandstötter Berichte Rezension: "Soll ich denn singend zugrunde gehen?"
Zum Stück von Monika Helfer |
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Editorial | Im Buch "Wien im 20. Jahrhundert" von Siegfried Mattl werden immer wieder Elias Canetti und Jura Soyfer zitiert. Und zwar gerade im Zusammenhang mit der Frage, wie vor allem in den 20er und 30er Jahren des 20. Jahrhunderts Gewalt in Wien entstand und welche Folgen sie hatte. Diese Darstellungen von Elias Canetti und Jura Soyfer stehen in einer langen Tradition. In der Jahrtausendealten Auseinandersetzung zur Frage der Gewaltprävention hat es stets die Position gegeben, daß Gewalt nur wieder Gewalt hervorruft. Auch unmittelbar vor dem Irak-Krieg war davor gewarnt worden. Und dennoch wurde dieser Krieg geführt. Und der Terror beschränkt sich nun keineswegs auf den Irak. Er hat mit dem Blutbad in Spanien auch Europa erreicht. Weiters zeigen die Schriften seit Jahrtausenden, daß Gewalt, die Gewalt hervorruft, nicht nur mit der Waffe ausgeübt wird. Es ist das Unrecht, das Medea angetan wird, das Gewalt zur Folge hat. Es ist die Herrschsucht der unfähigen Priester, die das Recht aufhebt und Oedipus in die Blindheit führt. Es ist der "Stachel" der Herrschaft (Canetti in Masse und Macht), die im Reflex der Gegenwehr zur Enthauptung des Mächtigen führen kann. Und gerade in diesen Tagen hat Rolf Hochhuth im Volkstheater in Wien wieder auf den Zusammenhang von sozialer Ungerechtigkeit und Gewalt verwiesen. Enthauptet wurde jedoch am Beginn des 21. Jahrhunderts kein Mächtiger, sondern der neue Terror in den USA, in Russland, in Spanien, im Nahen Osten trifft fast durchwegs Unbeteiligte, Menschen, die vielleicht selbst gegen Krieg und soziale Ungerechtigkeit waren, selbst zu den Ausgebeuteten zählten. Noch ist es schwer, ein gemeinsames transnationales Instrument zu finden, um Kriegsverbrecher vor ein internationales Gericht zu stellen, auch wenn etliche Fortschritte erzielt werden konnten. Und gerade im Zusammenhang mit den Jubiläumsfeierlichkeiten in diesen Wochen rund um Immanuel Kant soll daran erinnert werden, daß Kant als wesentliche Voraussetzung für den "Ewigen Frieden" das Recht angesehen hat. Das Europa der starken Bewaffneten war auch stets das Europa der Kriege. Frieden in den "Staaten" brachte das Recht – und in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in etlichen Teilen der Welt auch zwischen den Staaten. Die Reaktionen nach dem 9. März – dem Blutbad in Spanien – sind in Europa nicht unbedingt neu. Die, deren Parteien oft selbst am Abbau des Sozialstaates, an der Ausgrenzung und Polarisierung beteiligt sind, fordern mehr "Sicherheit". Und viele der Maßnahmen, die sie verlangen, haben ganz den Anschein von Maßnahmen, die sich durchaus auch nach innen richten lassen. Führende europäische Politiker wie Chirac und Schröder, aber auch US-Politiker verweisen darauf, daß damit ein Ende der Gewalt nicht erreicht werden kann. Nicht, daß es keines Schutzes gegen die terroristische Gewalt bedarf. Aber als Hauptinstrument zur Erreichung einer zivilisierten Konfliktaustragung hat sich in Österreich nach 1945 auch nicht erwiesen, daß Polizei und Militär gestärkt, sondern daß Instrumente des Dialoges entwickelt wurden, an dem auch – über viele Grenzen hinweg – der kürzlich verstorbene Kardinal Franz König wesentlich beteiligt war. Das gilt auch für die Veränderungen in Europa, deren Hauptinstrument nicht die Aufrüstung, sondern der KSZE-Prozeß war. Ein Dialog, der neu organisiert werden muß unter den Bedingungen der "Globalisierung", die keineswegs eine "Gesetzmäßigkeit" der sozialen Ungerechtigkeit und der Kriege in sich birgt, sondern vielmehr sind es soziale Interessen, Machtansprüche, die wieder erstarkenden Geheimdienste, die sich hinter diesem Schlagwort verbergen, aber keineswegs nur sie. Das Hauptmoment der Politik in dieser neuen Phase kann aber nur sein, gemeinsam die Welt an sich zu einer Welt für die Menschen zu gestalten – womit der Kulturpolitik der zentrale Stellenwert zukommen würde. Daran wird aber in den Stunden des Versagens der Gewalt gegen die Gewalt in der Öffentlichkeit kaum nachgedacht. Kunst ist anwesend – aber nur symbolisch, als Ornament der Trauer, aber keineswegs als zentrales Element einer neuen Gestaltung. Sie wird vielmehr oft jenen überlassen, die sie für die Legitimierung von Gewalt instrumentalisieren. Die großen Ideen von einer Friedenskultur, die (soziale) Gerechtigkeit, Freiheit (auch der Geschlechter), Konfliktaustragung im Dialog implizierten, haben die Künste und Wissenschaften geschaffen, über die heute oft nur in Verwaltungskategorien nachgedacht wird. Hier gibt es aber auch noch ein völlig anderes Potential, das gerade im heutigen Europa wieder zum Tragen gebracht werden sollte. Einzelpersonen, die Civil Society (die durchaus auch immer wieder als die Nicht-Militärgesellschaft verstanden wurde), Städte wie Wien, aber auch eine Vielzahl von Länder haben immer wieder Schritte gesetzt, denen in einer Zeit, da Virtualität mehr und mehr an Bedeutung zukommt, auch gesellschaftlich ein immer größerer Stellenwert beigemessen werden sollte. Bereits 1947 hatte die UNESCO in ihrer Präambel formuliert, daß Krieg im Kopf entsteht, aber auch der Frieden (womit keineswegs gemeint war, daß Bedrohung durch bzw. Schutz vor Durst, Hunger, Kälte, Gewalt nicht auch unmittelbar etwas damit zu tun haben mit dem, was im Kopf entsteht). Die Vorschläge, die in den letzten Monaten und Jahren immer wieder gemacht wurden, sind daher nicht neu. Neu ist aber, daß selbst Politiker wie Busch zwar ein Land in einen Krieg führen können (unter Schmähung der UNO), aber nun durchaus sehen, daß sie keineswegs in der Lage sind, allein einen Krieg gegen ein Land wie den Irak zu führen (ganz zu schweigen von 2 ½ Weltkriegen, wie es noch unter Reagan hieß). Selbst unter Aufwendung ungeheuerer Mittel nicht, mit denen längst wesentliche Wurzeln des Terrors (Hunger etc.) ausgerottet hätten werden können. Es ist daher besorgniserregend, was auf uns alle zukommt. Und je mehr nach "Sicherheit" in Form von Überwachung, Rechtsabbau, Bewaffnung, Aufrüstung gerufen wird, desto besorgter sollten wir sein – gerade auch in Erinnerung dessen, was in Jahrtausenden dieser Form der "Sicherheitspolitik" immer gefolgt ist. |
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