2021: Jura Soyfer: Virtualität

Programm
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Das 30. Soyfer Symposion wird wiederum als virtuelles Symposion vorbereitet. Vorschläge, Anmeldungen werden ab sofort unter arlt@soyfer.at entgegengenommen. Vorab werden auch Kommentare auf dieser Seite publiziert.

Bereits seit vielen Jahren werden von der Jura Soyfer Gesellschaft virtuelle Veranstaltungen angeboten: Ausstellungs- und Veranstaltungseröffnungen, Lehrveranstaltungen, Filme etc. Auch Teile von Symposien sind bereits seit Jahren virtuell. Und 2020 gab es die ersten virtuellen Konferenzen, das erste virtuelle Symposion.

Freilich wird von der Jura Soyfer Gesellschaft Virtualität nicht mit Digitalität gleichgesetzt. Und wer Analoges einfach nur in Digitalität übersetzt, wird sich des Verlustes bewusst werden, aber nicht die Vorteile nutzen können. Das zeigen in der Pandemie nun eine Vielzahl von Beispielen: KünstlerInnen, WissenschafterInnen, die Power Point, Twitter etc. verwenden, Theater, die ihre Produktionen streamen (meint: „abfilmen“), Galerien, die Bilder im Netz reproduzieren, analoge Lehrveranstaltungen via Internet abhalten, ein digitales Projekt mit dem Titel Kaufhaus Österreich. Sie und viele mehr zeigen, dass sie die Reflexionen zur Digitalität seit einem Vierteljahrhundert nicht antizipiert haben.

Der Begriff Virtualität wird in diesem Kontext nicht beschränkt verstanden wie in Wikipedia, sondern geht wie der Begriff Symposion auf das Griechische zurück. Kunstwerke können in dieser Tradition schlechthin als Virtualitäten aufgefasst werden. Auch das Wort Viren wird in dieser Tradition nicht nur negativ verstanden.

Gesellschaftlich ergeben sich aus der Missachtung der Kulturwissenschaften grundlegende Defizite, die gerade in diesen Monaten evident werden. Es bedarf für Wege aus der Krise keiner Kalendertermine, sondern eines neuen Umgehens mit den Mitmenschen und eines  grundsätzlich neuen Herangehens an die Welt.

Ein besonders krasses Beispiel sprachlicher Unfähigkeit und Ignoranz ist der Begriff „digitaler Humanismus“. Gemeint ist wohl, die humanistische Verwendung von Digitalität als einem Werkzeug. Denn der Antihumanismus durch Vermenschlichung der Maschinen ist schon seit dem 18. Jahrhundert bekannt, und Roboter sind schon 100 Jahre Filmgegenstand. Ein gutes Beispiel für die Humanisierung von Maschinen und deren katastrophale Folgen ist das Stück über Roboter von Karel Čapek, das diesen Begriff in die Öffentlichkeit eingeführt und seit einem Jahrhundert geprägt hat. Ein Beispiel aus der Bildendenden Kunst für einen anderen Umgang mit Digitalität ist die Ausstellung und die hervorragende Dokumentation zu Zelko Wiener Zwischen 0 und 1. Kunst im digitalen Umbruch. Literatur, Filme, Bildende Kunst zeigen die Fehlentwicklungen im Falle einer Subjektsetzung von Maschinen in Sprache und Bildern. Das hindert aus guten Gründen die Werbung nicht daran, gerade diese in den Mittelpunkt zu stellen. Die „Vermenschlichung“ soll die Unmenschlichkeit von 0 und 1, der Algorithmen als bestimmende Elemente gesellschaftlicher Steuerung verschleiern.

Dagegen ist das Wortungetüm „digitaler Humanismus“ ein Nonsens, eine contradictio in adiecto. Denn die Reduzierung der Welt auf 0 und 1, auf Schwarz und Weiß, auf Eindeutigkeiten widerspricht dem Humanismus grundsätzlich und ebenso den Sprachen, Literaturen, Künsten. Es stellt eine Ignoranz der Kenntnisse von WissenschafterInnen, KünstlerInnen dar, die seit Jahrhunderten anderes vorschlagen.

Seit Jahrzehnten setzt sich die Jura Soyfer Gesellschaft mit diesen Fragestellungen auseinander. 2021 sollte das Jahr werden, in dem möglichst viel von diesen Arbeiten (Kunstprojekte, Aufsätze etc.) dokumentiert werden. Höhepunkt wird das 30. Soyfer Symposion sein, das in neuer Weise strukturiert werden soll. An dieser Struktur wird ebenso gearbeitet wie an den Dokumentierungen. Auch in diesem Fall wird es darum gehen, was ermöglicht wird.

Die Folgen der Ignoranz der Erkenntnisse zur Virtualität zeigen sich nun in der Pandemie, die nicht mit den Impfungen zu Ende sein wird. Vielmehr hat die Pandemie öffentlich gemacht, welche Folgen es hat, nicht in adäquater Weise in (Kultur-)Forschung zu investieren, neue Technologien als solche zu ignorieren, die Welt auf Nummern, Algorithmen zu beschränken, Macht zu missbrauchen, um neue Technologien zu etwas zu machen, was sie nicht sind.

Die Gefahr geht nicht von Maschinen als solchen aus, die scheinbar zu Subjekten werden. Numerik, Algorithmen, Maschinen werden zur Bedrohung, wenn sie nicht – wie Soyfer dies als Notwenigkeit im Stück Der Lechner Edi zeigt – unter der humanistischen Kontrolle von Menschen stehen. Dann sind Verletzungen und Tod die Folge. Selbst die Existenz der Menschheit wird in Frage gestellt. Es bedarf daher eines gesellschaftlichen Humanismus, der sich in neuer Weise mit Digitalität auseinandersetzt. In diesem Zusammenhang geht es um demokratische Plattformen, Partizipation, einen humanistischen Einsatz von Technologien, soziale Demokratie, eine neue gesellschaftliche Rolle von Sprachen, Literaturen, Künsten.

Es geht daher mit dem 30. Soyfer Symposion nicht um ein Digitalisierungsprojekte mit allen seinen negativen Erscheinungen (Probleme der Zugänglichkeit, Handhabungen, autoritäre Vorgaben, Strukturen etc.). Es geht um eine neue Nutzung der Virtualität im Sinne von Jura Soyfer. Und es gelten das Prinzip der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen, die Prinzipien der Vorstellungsbildung.

Dazu soll in neuer Weise im Rahmen des 30. Soyfer Symposions 2021 virtuell präsentiert, beraten werden. Möglichst viel soll dazu im Vorfeld zur Verfügung gestellt werden, was bereits erarbeitet wurde. Die Ermöglichung dazu wäre ein strategischer Beitrag zum Weg aus der Krise gewesen.

Sichtweisen/ Kommentare

Herbert Arlt: Gedichte (1973-2021). Wien: INST Verlag 2021
Digitaler Humanismus

Die Verbreitung des Internets
Spektakuläre Visualisierung zeigt, wie das Internet seit 1997 gewachsen ist – Webmix – derStandard.at › Web

Lo and Behold, Reveries of the Connected World
Ein Dokumentarfilm von Werner Herzog über einmalige Möglichkeiten, aber auch (mögliche) Devastierungen.

Deep Web
Ein Film über das nicht indizierte Internet.

Silk Road
Film über Freiheitsverständnis und Kriminalität.

Digitalität als Selbstreproduktion der Natur
https://youtu.be/AavTap5FgSQ
Der Link wurde von Dr. Hartmut Cellbrot übermittelt. – Der Titel bezieht sich auf die Stelle, in der Kittler über Computer und Natur spricht. Freilich entspricht diese Metapher nicht der kritischen Auseinandersetzung von Kittler mit der Mathematik etc. Aber gerade durch diesen Widerspruch wird das Video interessant.

Elfriede Jelinek:
Diese Maschine ist unschuldig!

Jura Soyfer Online
Jura Soyfer: Öffentlichkeiten in den Zeiten der Pandemien – Jura Soyfer Online

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