Offensichtlich eignet sich Jura Soyfer als Symbolfigur für einen Polylogversuch in einer umbrechenden Welt.
Ein Ziel der Nationalsozialisten war es, die Werke ihrer Gegner zu vernichten (Bücherverbrennungen) bzw. ihre Habseligkeiten sich anzueignen (Novemberpogrom 1938), die Menschen zu Nummern zu machen, sie in der Ausbeutung gerade in den Konzentrationslagern zu zerbrechen, sie im Sinne einer Profitoptimierung industriell zu vernichten, die Erinnerung an sie auszulöschen.
Heute ist Soyfer in über 50 Sprachen übersetzt. Sein Dachaulied wurde in den Konzentrationslagern gesungen, sein Werk auch im Exil gespielt. Seine Stücke standen – gespielt von jungen SchauspielerInnen wie Otto Tausig – am Beginn einer neuen Friedensarchitektur in Europa und am Beginn einer neuen Friedensordnung nach 1989.
Sein Verständnis des Verhältnisses von Menschen zu Maschinen (Lechner Edi), einer neuen Form der Weltkommunikation (Der Weltuntergang), die Sichtbarmachung der Strukturen der Staatswesen (Astoria) ist auch heute richtungsweisend. Sein Stück Vineta wird als Stück zur Gegenwart erkannt. Und ebenso sein Stück Broadway Melodie 1492 (Verszeilen daraus: Die Faust – die Phrase – und das Geld:/ Wir drei erobern die Welt).
Im Angesicht des Krieges in der Ukraine geht es wieder um eine neue Friedensarchitektur. Es scheint so, als tummelten sich Figuren aus dem Monumentaldrama von Karl Kraus „Die letzten Tage der Menschheit“, aus den Soyferschen Stücken auf der Weltbühne. Soyfer aber geht selbst in seinem Dachaulied – im Angesicht des Terrors (Vor der Mündung der Gewehre/ Leben wir bei Tag und Nacht) – davon aus, dass es eine Zukunft gibt (Hell wird uns die Freiheit lachen – heißt eine andere Verszeile). Dafür gilt es die Gegenwart zu verändern.
Dieser Polylog versteht sich als ein Beitrag zum Friedensprozess, als ein Beitrag zu einem neuen Verhältnis von Europa zu Afrika.
Dazu gehört der Respekt vor der afrikanischen Kultur, das Verständnis, was von der afrikanischen Kultur europäische Kultur ist, das Verständnis für einen neuen Umgang mit der Natur, den Technologien.
Grillparzer zeigte in seinem Stück Die Jüdin von Toledo, dass nicht der Krieg den Reichtum bringt, sondern die Produktion, der Handel. Die Spekulationen, Finanztransaktionen machen nur wenige (vorübergehend) reich (Astoria). Die Welt wird durch das eherne Zeitalter (Ovid) nicht vernichtet, wohl aber eine Umwelt, die Leben und Überleben der Menschen ermöglicht.
Europa befindet sich im Umbruch, Afrika ist im Aufbruch. Es geht um die Menschen auf diesen Kontinenten. Wie sehr diese berücksichtigt werden, wird sich gerade an der Kulturpolitik zeigen, an der Bereitschaft zum Polylog, an der Ermöglichung der Entfaltung.
Wiss.Dir.Dr. Herbert Arlt
15.3.2022