Seit 45 Jahren setze ich mich wissenschaftlich mit Leben, Werk und Verbreitungsgeschichte von Jura Soyfer (1912-1939) auseinander. Es begann mit einer Proseminararbeit im Jahre 1978 an der Universität Salzburg. Es war die erste Lehrveranstaltung , die an einer österreichischen Universität zur österreichischen Literatur der 1930er Jahre gehalten wurde.
Im Mittelpunkt standen am Institut für Germanistik und am Institut für Geschichte in Salzburg Ende der 1970er Jahre nicht nur literarische Werke, Akten, sondern auch Methoden. Zum Beispiel im Umgang mit Aussagen von ZeitzeugInnen (oral history).
Im Rahmen meiner Dissertation versuchte ich daher nicht nur in Bibliotheken und Archiven Erkenntnisse zu sammeln, sondern ich befragte auch Dutzende von ZeitzeugInnen. Die Befragungen erfolgten auf der Basis der Methode „Dokumentationsgespräche“, die ich entwickelt hatte. (Eine Methode, für die sich auch Steven Spielberg für sein Projekt interessierte. Mit dem wissenschaftlichen Verantwortlichen seines Projektes kam es in Kalifornien zu einem Treffen. Beeindruckend, was das Team von Spielberg für die Erinnerungsarbeit an den Holocaust leistete.)
Freilich ging es nicht nur um Wissenschaft, sondern auch um Politik. Zudem ist mein Analysefeld breiter, denn die Beschäftigung mit Jura Soyfer. Die Erkenntnisse zu sprachmaschinellen Übersetzungen, Digitalisierung, neuen Technologien (insbesonders Quantentechnologie), Organisationsformen der Wissenschaft und Forschung, Kulturwissenschaft (Sprachen, Literaturen, Künste, Kulturen), Innovationsfinanzierung flossen auch in die Jura Soyfer Gesellschaft ein, ermöglichten zum Beispiel Übersetzungen in über 50 Sprachen im Kontext von 32 Soyfer Symposien bzw. 8 Weltkonferenzen mit bis zu 7.000 TeilnehmerInnen aus über 100 Ländern.
Ein Jahr wurde die Approbation der Dissertation verzögert, weil ich nicht bereit war, den Begriff „Austrofaschismus“ zu streichen. ÖH VertreterInnen wurden mit Haftstrafen von bis zu einem Jahr bedroht, falls sie die neonazistische ANR nicht kandidieren lassen würden. WissenschafterInnen, die sich mit Themen wie den SlowenInnen und Österreich, österreichische Literatur, Habsburgermonarchie in kritischer Sicht etc. beschäftigten, wurden in ihrer Karriere behindert. Wissenschaftsminister ab 1989 war Erhard Busek, der Finanzierungen zur Aufarbeitung der Errichtung der Diktatur in Österreich bzw. dem Austrofaschismus verweigerte. Austrofaschismus sei ein marxistischer Kampfbegriff. 1992 lehnte der FWF eine Förderung zur Geschichte der österreichischen Literatur ab, weil „Österreichische Literatur“ ein ideologischer und kein wissenschaftlicher Begriff sei. Die Akademie der Wissenschaft lehnte ein Apart Stipendum zum Thema „Geschichte der Germanistik in den Nachfolgestaaten der Habsburgermonarchie“ ab, obwohl alle Gutachten positiv waren.
Freilich änderten sich die Zeiten. Der Verfassungsgerichtshof verlangte nach einer Klage Durchführungsgesetze, auf die Gefängnisstrafen für Neonazis folgten. Heinz Christian Strache wollte als Vizekanzler nichts mehr von seinen Beteiligungen wissen (darunter gab es Fotos von Wehrsportübungen). Der FWF genehmigte ein Forschungsprojekt mit dem Titel „Geschichte der Germanistik in der Habsburger Monarchie 1848-1918“ in dessen Rahmen die Verwendung des Begriffs „österreichische Literatur“ seit dem 19. Jahrhundert nachgewiesen wurde. Sich als österreichische Parlamentspartei ÖVP in die Tradition einer Diktatur zu stellen, war mehr als fragwürdig. 2009 war Vizekanzler a.D. Dr. Erhard Busek gemeinsam mit Bundesminister a.D. Dr. Erwin Buchinger (SPÖ) und dem Nationalratsabgeordneten Dr. Harald Walser Grüne) an der Präsentation der Publikation Jura Soyfer und die Alte Welt beteiligt. 2009 bzw. 2012 wurden die Rehabilitationsgesetze ermöglicht. Heute hängt das Bild des Diktators Dollfuß nicht mehr im Parlamentsklub der ÖVP, sein Museum wird geschlossen. Die fragwürdige Geschichte der Akademie der Wissenschaften befindet sich in einer Teilaufarbeitung.
Beim gesellschaftlichen Umgang mit dem Februar 1934 geht es aber nicht nur um die Aufarbeitung der (bewaffneten) Kämpfe, die staatliche Unterdrückung bzw. den staatlichen Terror, sondern wie Soyfer in seinem Roman „So starb eine Partei“ zeigt, um umfassende Verhältnisse von Repression und Befreiung in Österreich vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart.
Dabei spielen auch die modernen Kommunikationstechnologien eine Rolle, deren Bedeutung Soyfer in seinen Gedichten, seinen Stücken, seiner Prosa zeigt.
Die Rechten haben auch 2024 nicht gelernt, dass die (gewaltsame) Unterdrückung der Alltagskultur (worunter bis zur Ersten Republik zum Beispiel auch das Baden in der Donau gehörte) nicht mehrheitsfähig waren und sind. Darunter fällt auch der Umgang der Rechten mit Alltagsorganisation, Gesundheit, Erziehung, Sexualität etc. Die Unterdrückung der „Negermusik“ durch reaktionäre Kreise in der ÖVP brachten sie um die absolute Mehrheit. Die Versuche, die Bestrafungen von Gewalt gegen Frauen zu verhindern (darunter Bestrafung der Vergewaltigung in der Ehe), scheiterten. Die Versuche, ungesunde Lebensweisen aus Profitinteresse zu verteidigen (Ernährung, Nikotin, Alkohol), mussten aufgegeben werden. Und es scheiterte insbesondere der Ansatz, Politik als Marketing zu verstehen, Österreich zu einer „Firma“ zu machen.
Heute stehen sich keine bewaffneten Formationen mehr gegenüber. Es werden keine Wohnhäuser mehr zerschossen, aber es werden gesellschaftliche Strukturen zerstört. Beispiel zur gesellschaftlichen Destruktivkraft waren bzw. sind zum Beispiel die Konflikte um das Bankwesen, die Sozialversicherungen, den Wohnbau, Wissenschaft und Forschung. Das gesellschaftliche Mobbing hat Folgen für die Lebenserwartung der Armen ebenso wie der Missbrauch der Macht im Bereich der Wissensproduktion.
Bedauerlicherweise versucht Parteiobmann Karl Nehammer es 2024 wieder mit einem Rechtsprogramm (nicht unbedingt nach dem Inhalt, aber nach der Werbung für eine Rechtskoalition, die trotz personeller Ausschlüsse immer deren Politik einbezieht). Freilich hat sich die Öffentlichkeit gewandelt. Für Öffentlichkeitsarbeit bedarf es 2024 nicht unbedingt viel Geld für Inserate, Werbung oder personelle Steuerungen. Diese Politikformen haben heute nicht mehr die selbe Wirksamkeit. Marketing Methoden wie „Themen setzen“ sind evident nicht erfolgreich. Es wird um Foren, Plattformen, Fakten gehen, wenn neue Möglichkeiten genutzt werden.
Gefragt wären neue Kooperationen, Ermöglichung von Innovationen durch Pluralismus, Beendigung von privaten Geschäftsfeldern und staatlicher Freunderlwirtschaft zum Schaden der Gemeinnützigkeit.
Der Schatten des Februars 1934 liegt immer noch über Österreich.
Faire Sachpolitik ist die Alternative.