Öffentlichkeiten für Jura Soyfer in den Zeiten der Pandemien

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Herbert Arlt (Wien | Vienna)

Im Rahmen des 29. Soyfer Symposions werden eine Reihe von Themen behandelt: Lügen (Astoria), Weltbedrohungen im Zeitalter der Weltkommunikation (Der Weltuntergang), leblose Städte und das lebendige Simmering, Vielsprachigkeit und Polyphonie, regionale und transnationale Öffentlichkeiten in Zeiten der Ausnahmezustände, Möglichkeiten im Zeitalter der Pandemien.

Im Rahmen eines Symposions in Wien, Weimar, Gedenkstätte Buchenwald, Jena wurde die Epidemie im Konzentrationslager Buchenwald von Harry Stein aufgearbeitet. In der Dokumentation zu diesen grenzüberschreitenden Veranstaltungen Jura Soyfer (1912-1939) zum Gedenken wird von Stein detailliert auf die Ursachen der Epidemie im Konzentrationslager Buchenwald anhand von Akten eingegangen. Dieser Beitrag zeigt, dass der Tod von Soyfer durch Typhus kein Zufall war, sondern Teil des Terrors. Die Dokumentation zeigt weiters, dass selbst noch im Angesicht dieses mörderischen Terrors Widerstand möglich war und Soyfer ihn auch geleistet hat.

Das virtuelle Symposion findet in einer Zeit des Umbruchs statt. Wie zu Soyfers Zeit ist evident, wohin die Unfähigkeit der Autokraten, der Populisten führen kann: in den ökonomischen Untergang, in die breite Verarmung, in Verteilungskämpfe und Kriege sowie zum Terror. Die Pandemie ist ein Kontext dazu. Aber die Konflikte reichen tiefer. Das belegen auch die heutigen Rezeptionen seines Werkes weltweit.

Am Symposion nehmen einige der WissenschafterInnen, KünstlerInnen teil, die sich zum Teil seit Jahrzehnten für Soyfer engagieren. Doch die Öffentlichkeiten haben sich für sie verändert und sie verändern die Öffentlichkeiten. (Soyfer im Stück „Der Weltuntergang“: Von den neunundneunzig Rändern/ Dieser kugelrunden Erde/ Flitzen flink aus tausend Sendern/ Die Berichte. – Durch die zarten, blitzend harten/ Kupfernerven dieser Erde/ Surrt die Weltgeschichte.) Neu sind die Einschränkungen und Untersagungen von Versammlungen und Veranstaltungen wie zu Soyfers Zeiten. Aber diese Gesetze haben ein Ablaufdatum. Der Versuch einiger Rechter, die Geheimdienste, das Militär in Österreich zu unterlaufen, sind gescheitert. An der Aufarbeitung der Vorbereitung eines Putsches wird gearbeitet. Immerhin kam es tatsächlich zu einem Versuch der Stürmung der Parlamentsrampe. Wie immer sind derartige Protagonisten – wie in Soyfers Stücken – in Korruption, Wirtschaftsskandale verwickelt.

Neu sind die digitalen Möglichkeiten, die es auch aus der Verarmung heraus erlauben, derzeit noch Öffentlichkeiten zu schaffen, der digitale Unterricht, die Entwicklung von Künsten im Angesicht der Digitalität (z.B. durch Parthenos und Otto Tausig), die große Umverteilung im Bereich der Produktionen, Distributionen, Gewinne. Und die Rolle des Finanzkapitals, das sich nicht mehr prioritär für die Kontrolle der Produktion interessiert, sondern dessen Geschäfte so fiktiv sind wie die Geschäfte in Soyferschen Stücken wie Astoria oder Vineta. Selbst die Abkopplung von Waren erfolgt (z.B. durch die sogenannten Kryptowährungen).

Es ist ein Symposion, dem das Virtuelle Soyfer Archiv zur Verfügung steht (aber auch die Soyfer Edition 2012, nach der hier Soyfers Werke zitiert werden und die via Virtuellem Soyfer Archiv zugänglich ist): Übersetzungen in über 50 Sprachen, die nicht nur für Projekte in den über 50 Ländern genutzt werden, in denen die Soyfer Gesellschaft aktiv ist, neue Öffentlichkeiten im Kontext von Homepages in Arabisch, Englisch, Französisch und weiteren Sprachen, neue Nutzungen im Unterricht in einer Vielzahl von Ländern, neue Ästhetiken im Angesicht der Konfrontation der Künste mit einer Welt aus 0 und 1, Schwarz und Weiß.

Digitalität bietet daher Chancen zur Verbreitung, aber es sind gerade österreichische KünstlerInnen, die wie Jura Soyfer im Lied des einfachen Menschen davor warnten, dass der Mensch zu einer Nummer degradiert wird (Wir sind die Nummer im Katasterblatt). Immer wieder – nicht nur zur Zeit des Nationalsozialismus – war dies mit grauenhaften, mörderischen Folgen verbunden. Sie entwickelten ihre Kunst daher Zwischen 0 und 1, stellten dem Grauen die Liebe, die Revolutionen entgegen. Und es ist bemerkenswert, dass gerade jetzt die Revolution in Österreich von 1918 (siehe auch TRANS 24, dessen Beiträge zur Publikation vorbereitet sind), die Werke von Jura Soyfer weltweit Beachtung finden.

Im Zentrum der Weltbedrohung (siehe das Stück Der Weltuntergang, das im November 2020 auch als Buch unter Verwendung der Soyfer Edition 2012 erscheint) steht bei Soyfer der Krieg. Nach Auffassung von Vizekanzler a.D. Erhard Busek stehen wir vor einem Dritten Weltkrieg. Nach Auffassung des Papstes hat er bereits begonnen. Die strategischen Verhältnisse ändern sich. Den Billionen, die die USA in Rüstung investierten, stehen neue Technologien entgegen: Eine Quantentechnologie, die es China möglich macht, das Stealth Programm der USA mit geringen Kosten zu unterlaufen. Die Hyperschall Raketen der Russischen Föderation und Chinas, gegen die es keine Abwehrmittel gibt. Und unter Trump eine Missachtung der Gesetze und internationaler Abkommen.

Auch die Weltbedrohungen durch Pandemien ist nicht neu. Es existiert eine umfangreiche Literatur zu den Pandemien. Es gibt eine Weltorganisation, deren Möglichkeiten blockiert werden – so wie die Möglichkeiten der WTO etc., aber auch neue Formen der Zusammenarbeit. Bei Soyfer heißt es: In Komitee und Kommission/  Wird beraten, beraten, beraten/ Und in aller Welt marschieren schon/ Soldaten, Soldaten (Arbeiter-Zeitung, 26. Juni 1932). Verträge werden zerrissen etc. Aber es gibt auch den Green Deal, die Initiative zum Verbot der Atomwaffen. – Bei Soyfer kann der Weltuntergang abgewendet werden. Er selbst wurde verhaftet, starb im Konzentrationslager. Der Zweite Weltkrieg konnte nicht verhindert werden. Und doch ist er gerade heute lebendig. Im Kontext einer Welt, die der Abrüstung, der sozialen Gerechtigkeit bedarf.

Bemerkenswert ist die Bedeutung der Lügen in Zeiten der Konflikte. Dass ein Politiker wie Donald Trump lügt, ist evident. Dazu gibt es umfangreiche Dokumentationen. Wie im Soyferschen Stück Astoria hat die Entlarvung der Lügen aber keine Folgen. Rund 70 Millionen US Bürger haben einen Präsidenten gewählt, der hauptsächlich für sich selbst und andere Reiche kämpft, selbst wenn sie durch diese Politik Nachteile erlitten. Wie in Astoria gelang dies durch Spaltung.

Im Wahlkampf in Wien 2020 hat sich jedoch das Miteinander durchgesetzt. Die Populisten werden marginalisiert bleiben, wenn der Hass, die gesellschaftliche Spaltung etc. marginalisiert und Lösungen für die sozialen, die interkulturellen, die gesellschaftlichen Probleme gefunden werden. Auch in den USA hat sich das Programm des Miteinanders von Joe Biden durchgesetzt. Aber es gibt massiven Widerstand. Veränderungen werden durch Kooperation möglich. Durch Vernichtung konnten sie sich noch nirgends durchsetzen.

Wien ist kein Vineta geworden. Lebendig geblieben ist in diesem Kontext auch ein Bezirk wie Simmering in Wien. Auch in diesem Bezirk haben die Populisten verloren. Die Jahre des blauen Bezirksvorstehers sind vorbei. Sie waren verbunden mit Verkehrsproblemen, mit Problemen der Wirtshauskultur, dem Unverständnis gegenüber prinzipiellen Möglichkeiten, die heutige Entwicklungen mit sich bringen. Eine neue Kultur ist im Bezirk möglich.

Simmering ist nicht wirklich der Bezirk des Niedergangs. Es gibt neue Stimmen zur Schokoladenseite, aber auch zu neuen Möglichkeiten. Genutzt wurde, dass Soyfer in viele Sprachen übersetzt wurde. Das beförderte die interkulturelle Verständigung in Simmering. Aber im Gegensatz zu Linz, zum Ruhrpott, zum Rust Belt wurde die Kultur als Entwicklungselement eines Stadtteils noch nicht wirklich entdeckt, aber 2021 bringt neue Möglichkeiten mit sich.

In Simmering, in Wien, in Europa, in der Welt besteht die Möglichkeit einer neuen Entwicklung, die Virtualität auf neue Weise begreift. Die Lügen können abgewählt werden. Das Miteinander kann sich durchsetzen. Im Stück Astoria wird in diesem Kontext der Kunst eine wichtige Rolle eingeräumt (Die Zeit, die ihre Straße zieht/ Sie ist mit Dir im Bund -/ Marschier mit ihr und sing Dein Lied,/  Mein Bruder Vagabund!). Im Weltuntergang scheint durch die  Revolution die Abwendung des Krieges, des Weltuntergangs möglich – und das im Angesicht der Zensur, der Diktatur.

Dieses Symposion zeigt, dass die Welt noch nicht zu Vineta geworden ist. Trump wurde abgewählt. Es gibt eine Zuwendung zu Soyfer weltweit, zur österreichischen Geschichte, zu Sprachen, Literaturen, Künste im Sinne einer Aufklärung, die eine friedliche Veränderung ermöglicht. Ich bedanke mich bei allen, die durch ihre Beteiligung am Symposion, durch ihre Kunstprojekte, ihren Unterricht, ihre Öffentlichkeitsarbeit an den Veränderungen sich beteiligen. Sie zeigen dadurch, dass die Verszeilen von Soyfer im „Lied von der Erde“ aktuell bleiben:

Voll Hunger und voll Brot ist dieser Erde,
Voll Leben und voll Tod ist diese Erde,
In Armut und in Reichtum grenzenlos.
Gesegnet und Verdammt ist diese Erde,
Von Schönheit hell umflammt ist diese Erde,
Und ihre Zukunft ist herrlich und groß!

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