Zum Einsatz von Jura-Soyfer-Texten  in den literarischen Übersetzungsseminaren an der Ege Universität (Izmir/Türkei)

Ass.Prof.inDr.in Dilek Altinkaya-Nergis (Izmir)

Im Rahmen der alljährlichen Veranstaltung der Jura Soyfer Gesellschaft zu den Öffentlichkeitsprojekten in Bezug auf Jura Soyfer hat sich dieser Beitrag zum Ziel gesetzt, die an der Ege Universität in Izmir in der Türkei im Fachbereich für Übersetzen und Dolmetschen (Deutsch-Türkisch) durchgeführten Jura Soyfer-Projekte vorzustellen.

Jura Soyfer wurde an der Ege Universität im Fachbereich für Übersetzen und Dolmetschen erstmals im Sommersemester 2019 in der Lehrveranstaltung des Wahlpflichtmoduls “Literarisches Übersetzen II“ und im darauffolgenden Lehrjahr im Winter- und Sommersemester 2019/2020 in den Wahlpflichtmodulen “Theaterübersetzung I“ und “Theaterübersetzung II“ als Übersetzungsprojekt von Bildern bzw. Ausschnitten aus seinem Theaterstück “Astoria” in den genannten Seminarveranstaltungen eingesetzt. Das Seminar-Projekt entstand in Kooperation zwischen der Jura Soyfer Gesellschaft und dem Fachbereich für Übersetzen und Dolmetschen an der Ege Universität mit den vorhergehend gesetzten Schwerpunkten “Besonderheiten der österreichischen Sprache” und “Schwierigkeiten bei der Übersetzung von Theaterstücken” und soll aufzeigen, welche Herausforderung und Komplexität es für die StudentInnen darstellte, aber auch welche Bereicherung die Bearbeitung des Stücks für die Beteiligten bedeutete.

Verantwortlich für die Veranstaltung und Durchführung des Seminars für das 3. Studienjahr des 6. und des 7. Semester, das insgesamt pro Semester 14 Unterrichtseinheiten von je 3 mal 45 Minuten Unterrichtszeit (mit 6 Credits für ausländische Erasmus Programmstudierende) umfasste, war dabei ich gewesen. Die Anzahl der StudentInnen betrug im obligatorischen Wahlpflichtfach 17, von denen eine Studentin abbrach, mit der Erklärung, dass ihr Semesterplan sich überschneiden würde.

Nach einer allgemeinen Einführung in das literarische Übersetzen, das die StudentInnen bereits im Wintersemester als “Literarisches Übersetzen I” belegt hatten, fand am 20. 02.2017 in Zusammenarbeit und Absprachen mit dem wissenschaftlichen Direktor der Jura Soyfer Gesellschaft Dr. Herbert Arlt zwischen 09.30-10.30 Uhr der türkischen Ortszeit per Skype Verbindung ein höchst interessantes Seminar mit dem Thema “Ein Einblick in die österreichische Literatur des 18. bis  21. Jahrhunderts” im Übersetzungslabor des Fachbereichs statt. Im Hörsaal befanden sich 12 StudentInnen und gleichzeitig saßen 4 StudentInnen in den schalldichten und zur mündlichen Übersetzungspraxis vorhandenen Simultankabinen, um parallel zu ihrem Simultandolmetschertraining den Vortrag des Redners Dr. Herbert Arlt als praktische Übung nebenbei zu übersetzen.

Der Vortrag von Dr. Herbert Arlt, indem die StudentInnen viel über Österreich, seine Kultur, Literatur und die Besonderheiten der österreichischen Sprache erfuhren, mit der sie während ihres Studiums noch nicht viel in Berührung gekommen waren, eröffnete eine Grundlage zum Wissen über die Basiskompetenz der übersetzerischen Originalität und bereitete die Studierenden auf die sprachlichen Schwierigkeiten vor, die sie neben der übersetzerischen Leistung eines literarischen Theaterstücks erwartete. Andererseits weckte sie das rege Interesse an einer neuen Erfahrung im Umgang mit Texten und einer Kultur, der sie noch nicht begegnet und mit der sie sich noch nicht auseinandergesetzt hatten.  Die darauffolgenden drei Semesterwochen widmeten sich den allgemeinen Besonderheiten, den Schwierigkeiten und Theorien zur Übersetzung von Theaterstücken. Der Grund für die Notwendigkeit dieser Sonderseminare liegt darin, dass es den meisten Studierenden im Grunde im Fachbereich für Übersetzen und Dolmetschen an meinem Institut, meinen Beobachtungen zufolge an den Grunderfahrungen des literarischen Übersetzens, geschweige des Übersetzens von Theaterstücken, fehlt. Der Grund dafür liegt darin, dass sich der Schwerpunkt unseres institutionellen Curriculums für das ÜbersetzerInnenstudium besondere auf die Sprachkompetenz und Fachübersetzungen konzentriert und sich eher auf die kommerziell lukrativeren Bereiche der Fachübersetzungen wie beispielsweise diverse Rechtsübersetzungen, Wirtschaftsübersetzungen und das mündliche Übersetzen.

Dank dieser einmaligen Gruppenerfahrung, denen die StudentInnen dieses Projekts ausgesetzt wurden, zeigten sich in den Übersetzungskritiken, die die StudentInnen bei Abschluss jedes Semesters über ihren eigenen Übersetzungsansatz verfassen mussten, welche Bereicherung und Perspektiveneinsicht sie sich dank Jura Soyfers zeitgenössischen aber gleichermaßen universellen Werk aneignen konnten. Auffällig erscheint vor allem, dass fast alle StudentInnen sich für eine kulturelle Einbettung der Szenen bzw. Bilder und somit für die Entlehnung des Werks in die türkische Sprache und Kultur entschieden. So wurden beispielsweise sprichwörtliche Aussagen wie, “Wer den Pfennig nicht ehrt, ist des Guldens nicht wert” oder “Hochmut kommt vor dem Fall” mit dem türkischen Sprichwort “Aza kanaat getirmeyen çoğu bulamaz” oder eben auch “Düşüşten önce kibir gelir” übersetzt. Zuerst mussten die StudentInnen jeweils die deutsche bzw. österreichische Bedeutung recherchieren, um sie danach den äquivalenten türkischen Redewendungen anpassen zu können. Und auch aus “Pfui Teufel, so eine Hitze” wurde interessanterweise kulturell bedingt ohne religiöse Hintergedanken zu pflegen “Allah kahretsin! Bu ne sıcak” transformiert, um dem türkischen Volke auf die „Schnauze“ zu schauen und nicht um Gott um Hilfe anzubeten.

Das Potential der literarischen Übersetzung des Theaterstücks „Astoria“ für die Heranführung der StudentInnen an neue Ansätze und Perspektiven der Übersetzung erwies sich als überwältigend positiv motivierend und verlieh den StudentInnen zwischen all den Fachübersetzungen frischen Wind und Aufschwung, sowie den Geschmack an literarischer Übersetzung, die ihre Kreativität und das Weiterdenken als nur terminologisches Wissen förderte. Die Theaterübersetzung wurde als ein interaktiver Prozess fortgeführt. Die Arbeit in Form einer Theatertextwerkstatt zu Jura Soyfers „Astoria“ bedeutete für die gesamte Semestergruppe geballte Übersetzerkompetenz an. Das gemeinsame Grübeln, Aufspüren und die Entscheidung zu den geeigneten Bildern und Verben bewirkte bei den StudentInnen einen euphorischen Einsatz, der sonst in den Fachübersetzerseminaren eher weniger anzutreffen ist. Vielleicht lässt sich sogar in diesem Rahmen ein Kulturprogramm für lebenslanges Lernen entwickeln, wie es für die Weiterbildung der literarischen Übersetzer wünschenswert wäre.