Herbert Arlt (Wien) [BIO]
Das Licht auf den Bergen
Das Licht ist ein wesentlicher Begriff bzw. eine zentrale Metapher im Sprachfeld der Erkenntnisprozesse - und zwar nicht nur von Erkenntnisprozessen der Aufklärung (Enlightenment, éclaircissement) bzw. der "Moderne", sondern auch mit Anschauungen, Erfahrungen, Erkenntnisprozessen der "Vormoderne".
In der "Vormoderne" ist das Licht meist mit religiösen Metaphern verbunden. Das Licht sei Erkenntnis Gottes oder gar Gott selbst. Und selbst noch bei der Konstituierung der Moderne verbleiben die religiösen (metaphysischen) Erfahrungen zentral. Auch wenn sich die Sprache ändert, verbleibt der Inhalt derselbe. Zugleich finden wir aber auch eine Kontinuität der Sprache, die dennoch neue Inhalte transportiert. Licht und Berge sind in diesem Zusammenhang zwei Wörter, die in der Geschichte der Menschheit divergent definiert und rezipiert wurden, aber auch viele Gemeinsamkeiten aufweisen.
In diesem Kontext versteht sich dieser Text als ein Beitrag zu einer transnationalen Kulturgeschichte der Berge(1), deren Schreibung aber noch einiges an Voraussetzungen bedarf. Hier werden nur einige Aspekte angeführt, um die Differenzierung in den Forschungsarbeiten und im öffentlichen Umgang voranzutreiben und die Vielfältigkeit der kulturellen Zugänge im Zusammenhang mit den Bergen bewußt zu machen.
1. Mythos
Bereits in den verschiedenen Mythen wird das Licht auf den Bergen gedacht. Als ein Beispiel in diesem Zusammenhang zitiere ich die Darstellung von Naoji Kimura:
Über den Anblick der letzten Greueltat von Susanoo entsetzt (Tod der Weberinnen im Himmel, Tötung einer Göttin - H.A.) machte Ama-terasu Oho-mi-kami die Tür der himmlischen Felsenwohnung hinter sich zu, verriegelte sie und hielt sich eingeschlossen. "Da war das ganze Gefilde des Hohen Himmels dunkel, und das ganze Mittelland des Schilfgefildes war dunkel. Infolgedessen herrschte ewige Nacht." [...] Hierauf versammelten sich die achthundert Myriaden Götter und beratschlagten sich miteinander über verschiedene Einrichtungen, die Sonnengöttin durch eine rituelle Divination hervorzulocken. Denn in der ewigen Nacht "war das Herumlärmen der Myriaden von bösen Gottheiten mit den umherwimmelnden Fliegen zur Reispflanzzeit zu vergleichen, und die Myriade von Übeln kam gänzlich zum Vorschein."(2)
Diese Darstellung korrespondiert durchaus mit Bildern von Goya oder Vorstellungen europäischer Aufklärer, die das Fehlen des Lichtes mit der Potentialität nicht nur des Irrationalismus, sondern auch der Gespenster verbinden. Freilich ist die Gewinnung dieses Lichtes - wie wir noch sehen werden - nicht unbedingt identisch mit jenen Maßnahmen, die die japanischen Götter ergriffen haben, obwohl Erotik und Lachen auch im Zusammenhang mit europäischen Erkenntnisprozessen als wichtige Elemente angesehen werden können. Kimura weiter:
So bekam zuletzt eine Göttin den Auftrag, einen Tanz auszuführen: "Ama no Uzume no Mikow hängte sich den Himmlischen Keulenbärlapp vom Himmlischen Kagu-Berg als ein Handstützband um, machte sich die Blätter des himmlischen trefflichen Spindelbaumes zum Kopfschmuck, und band sich die Blätter des Bambusgrases vom himmlischen Kagu-Berge zu einem Handstrauß zusammen, und legte ein Schallbrett vor die Tür der Himmlischen Felsenwohnung und stampfte darauf, daß es ertönte, und tat als ob sie in Besessenheit eine göttliche Inspiration habe, zog die Warzen ihrer Brüste heraus und zogen den Saumbund ihres Gewandes bis an die Scham herab. Da schütterte das Gefilde des Hohen Himmels und die achthundert Myriaden Götter alle zusammen lachten." [...] Dieses kam selbstverständlich der Ama-terasu Oho-mi-kami sehr seltsam vor und sie öffnete die Tür der Himmlischen Felsenwohnung ein klein wenig. Als ihr der oben genannte Spiegel vorgehalten wurde, war sie immer mehr erstaunt und kam allmählich aus der Tür heraus, worauf eine im Versteck stehende männliche Gottheit sie bei der Hand nahm und herauszog. Da wurden das Gefilde des Hohen Himmels und das Mittelland des Schilfgefildes wieder hell. Man muß also sagen: am Anfang der japanischen Geschichte war ein erotischer Tanz einer Göttin.(3)
2. "Mittelalter"
Während in der japanischen Mythologie nach Kimura Licht, Berge, Gelächter und Erotik einander bedingen, ist auch dem europäischen Mittelalter eine Sinnlichkeit nicht abzusprechen. Umberto Eco beschreibt diese im Zusammenhang mit der Wahrnehmung des Lichts folgendermaßen:
Noch mehr aber als für die einzelnen Farben scheinen Mystiker und Philosophen sich für das Licht und insbesondere für das der Sonne zu begeistern. Auch hier ist die Literatur der Zeit voll von Äußerungen des Entzückens über den Glanz des Tageslichts oder die Flammen des Feuers. Der gotische Dom ist im Grund von einer Funktion her konstruiert, nämlich der, das Licht durch ein Gitterwerk von Strukturen dringen zu lassen; und es ist diese wunderbare und ununterbrochene Transparenz, die Suger begeistert, wenn er in den bekannten versiculi von seiner Kirche spricht:
[...]
Der Saal schimmert, in seiner Mitte erleuchtet.
Es leuchtet nämlich das leuchtend mit dem Leuchten Verbundene,
und das von neuem Licht Überflutete leuchtet als edles Werk.
[...] (4)Doch nicht nur die Architektur der Kirche ist mit dem Licht bzw. Lichteinfall verbunden, sondern auch die Berge:
Was die Dichtung anlangt, so braucht man nur an Dantes Paradiso denken [Aufstieg auf den Berg - H.A.], einem perfekten Beispiel für diese Freude am Licht, die seinerseits auf spontane Neigungen des mittelalterlichen Menschen zurückgeht (die Gewohnheit, das Göttliche mit Vorstellungen aus dem Bereich des Lichts zu verbinden und das Licht "zur Urmetapher für die spirituelle Realität" zu machen), andererseits auf einen Komplex patristisch-scholastischer Einflüsse [...]. (5)
Diese Vorstellung vom Licht existierte nicht isoliert. Bereits im Mittelalter sind für die Herausbildung dieser Vorstellung eine Vielzahl von Elementen verantwortlich:
Die Vorstellung von Gott als Licht kam aus weit zurückliegenden Traditionen. Das reicht vom semitischen Bel, vom ägyptischen Ra, vom iranischen Ahura Masda, die alle Personifizierungen entweder der Sonne oder der wohltätigen Wirkung des Lichtes sind, bis hin, natürlich, zur Platonischen Sonne der Ideen, dem Guten. Über die neuplatonische Strömung (insbesondere Proklos) gelangten diese Vorstellungen in die christliche Tradition zuerst über Augustinus und später über den Pseudo-Dionysius Areopagita, der mehrmals Gott als Lumen, Feuer, Lichtfontäne preist [...]. (6)
Nicht zufälligerweise gibt es daher Entsprechungen zum Beispiel zu arabischen Vorstellungen:
Im Islam ist das Licht Symbol der Weisheit und der Erkenntnis. [...] Den Philosophen war - wie den Theologen - das Licht gleichbedeutend mit Vernunft, mit deren Hilfe sich der Mensch von der Dunkelheit befreien kann. Die Vernunft ist Licht, weil es Dinge sichtbar macht, und Licht ist vornehmlich ein Attribut Gottes. (7)
Ein Ausdruck für diese Gemeinsamkeiten ist auch der Sonnengesang des Franz von Assisi, auf den Hans-Friedrich Müller in diesem Band im Zusammenhang mit den Liedern verweist. Sie reichen bis in die Gegenwart zu Cat Stevens, der eine Vielzahl von Liedern zur Lichtthematik geschrieben hat - auch mit direkter Aufnahme der genannten Traditionen:
Mountain, oh mighty mountain
Show me secrets you have
So I may become brother to Moses
And live, live and be glad
I can feel all of your powers
Growing lighter in the dark
If you crumble I won't living
For my love would have no heart.(8)
3. Konstituierung der Moderne
Diese Traditionen spielen bis in die Gegenwart herein eine zentrale Rolle, die gerade auch jene Bereiche wesentlich prägen, die das Neue zu symbolisieren scheinen:
Aus der Verschmelzung antiker und christlicher Naturvorstellungen war ein anthropozentrisches Weltbild entstanden, in dessen Rahmen Natur zum Objekt technischer Verfügbarkeit und Ausbeutung werden konnte. Seine Grundgedanken, der Glaube an Harmonie und Zweckmäßigkeit des göttlichen Weltplans, an die Unerschöpflichkeit der Natur und deren Nützlichkeit für den Menschen findet der Leser bei den großen Astronomen der frühen Neuzeit, bei Kopernikus, Galilei, Kepler, Newton, bei den Begründern der modernen Naturwissenschaften Harvey, Boyle, Ray, Linné, bei Francis Bacon, dem Programmatiker von New Science, bei millenaristisch inspirierten Puritanern, Calvinisten, Anglikanern, Pietisten, bei den Anhängern der populären physikotheologischen Bewegung, bei den Autoren der "Maschinen-Bücher", die schöpfungs- und heilstheologische Rechtfertigungen technischen Handelns liefern. Alle diese Männer und Strömungen trugen bei zur Konsolidierung und Verbreitung jenes metaphysischen Optimismus, der in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts mit Alexander Pope und Leibniz Programm wurde. Er setzte sich fort in der gesamten europäischen Aufklärung, überlebte mehrere fundamentale Krisen und bestimmte vor allem die Mentalität jener, die in Naturwissenschaft, Technik, Industrie und Ökonomie die Fundamente einer modernen Welt legten. Als im Zuge der Säkularisierung an die Stelle Gottes die Natur trat, blieb deren Begriff mit den tradierten Bestimmungen ausgestattet.(9)
Soviel die "Moderne" geändert hat, soviel ist nicht nur im alten Gewand der Sprache und Bilder geblieben. Denken wir an den "Aufstieg", den es im profanen Leben durchaus auch gibt und mit Attributen verbunden ist, die durchaus denen der Vergangenheit entsprechen. So schreiben Ruth und Dieter Groh über Petrarcas Bergbesteigung:
Trost und neue Kraft findet er dann auch nicht im Anblick der Natur, sondern in frommen Gedanken, in der aus der Tradition der Kirchenväter wohlbekannten Allegorisierung des Aufstiegs als Weg der Seele aus den Talgründen der Sünden zum Gipfel des seligen Lebens.(10)
Und diese Tradierung ist nicht nur im Alltag zu finden. Gerade die Naturwissenschaften sind auch von dieser Metaphorik bestimmt; dazu Groh:
Für die Emphase, mit der Newton als Heilsbringer gepriesen wurde, sprechen auch die bekannten Zeilen, die Alexander Pope in seinem Essay on Man von 1732 dem Begründer der neuzeitlichen Physik widmete:
Nature and Nature's Law
Lay hid in night,
God said let Newton be,
And all was Light.(11)
4. Das "moderne" Leben
Doch auch in der Gegenwart spiegeln sich diese Traditionen wider. In diesem Zusammenhang erlaube ich mir, ein Beispiel herauszugreifen, aber auch auf den Alltag einzugehen, der neue Orientierungen vermittelt. Gerade in der Alltagskultur hat sich schon längst Neues durchgesetzt, während anderes sich noch als eng mit der Vergangenheit verbunden zeigt, selbst wenn modernste technische Mittel verwendet werden:
4.1. Bergfilm
Groh hat immer wieder betont, daß in der Neuzeit Gott durch Natur ersetzt wurde, sich dadurch aber die Eigenschaften nicht geändert hätten. Die Metaphysik habe sich auch im Feld einer anderen Terminologie behauptet. Metaphysik scheint auch bei der Entstehung des Bergfilms eine entscheidende Rolle gespielt zu haben:
Hilmar Hoffmann meint, die Berge seien den Regisseuren vor allem eine metaphysische Macht gewesen, der sie sich in einer Art hingegeben hätten, die keine Distanz mehr zugelassen habe. Doch damit läßt sich das Phänomen des Bergfilms nur bedingt erfassen. Es kann davon ausgegangen werden, daß es kaum allein eine elitäre, scheinphilosophische Metaphysik der Bergwelt sein konnte, die den Bergfilmen bei einem breiten Publikum zu nachhaltigem Erfolg verhalf. Wie Peter Novotny zurecht bemerkte, ist die Naturmystik eher Stilmittel als ästhetische Zielsetzung. Die Filme mythologisieren ihr Sujet, ohne das sie sonst gegenstandslos wären.(12)
Doch angesichts der Bedeutung der Metaphysik in der Neuzeit ist nicht bewiesen, daß nicht gerade die Metaphysik den Filmen zum Durchbruch verhalf. Der Mechanismus des Austausches ist auf jeden Fall auch von Rapp beschrieben, nur daß in diesem Fall die Natur nicht an die Stelle Gottes, sondern die der Menschen tritt:
Der deutsche Bergfilm ist das erste und bislang einzige erfolgreiche Spielfilmgenre, das den zwischenmenschlichen Dialog als erzählerische Basistechnik abschaffte und den menschlichen durch den sozusagen steinernen Partner ersetzte.(13)
Und dennoch bleibt die Natur ideell:
Nicht das Geschehen, sondern "das Ideelle des Geschehens" ist nach Riefenstahl die Aufgabe der Dokumentation, nicht die Wiedergabe von Ereignissen, sondern ihr "Ans-Licht-Bringen".(14)
Doch das Licht kommt in diesem Fall nicht mehr von den Bergen. Es wird ans Licht gebracht. Und hier hat die Differenzierung zu beginnen, welche Art von Licht es ist. Der Verweis auf die Naturvorstellung ist in diesem Fall durchaus noch kein Beweis einer ideologischen Ausrichtung, besonders bei einer eklektischen Ideologie, deren eigentlicher Kern die Erringung und Erhaltung der Macht war.
4.2. Metaphysik und Technologie
Ganz anders ein Beispiel aus der Geschichte der Seilbahnen. Am Titelblatt "50 Jahre Pfänderbahn"(15) ist eine Gondel und ein Lichteinfall zu sehen:
Der Lichteinfall erinnert an die Deckengemälde barocker Kirchen der Gegend rund um Bregenz. Die Touristen in der Gondel wenden sich aber nicht diesem Licht zu. Es ist etwas anderes, das sie zu bewegen scheint - die Aussicht, die von der Gondel aus zu sehen ist. Das Licht erweist sich daher als profanes Element, das Stimmung schafft. Die Menschen sind dem Alltag des Aufstiegs mit Hilfe der Gondel zugetan, dessen Besonderheit eine neue Möglichkeit des Sehens ist.(16)
4.3. Hausbau in den Bergen
Der Lichteinfall spielt auch im heutigen Hausbau eine wesentliche Rolle. In den Bergen war es lange Zeit nicht möglich, große Fenster einzusetzen. Erst mit heutiger Technologie hat sich dies geändert:
In alten Gebäuden wurden die Öffnungen entsprechend klein gehalten, um einen größtmöglichen Schutz vor der Kälte zu gewährleisten. Heute hingegen öffnen sich die Bauwerke der Witterung zum Trotz durch große Fensterfronten nach außen.(17)
Das zunehmende Licht in diesen Häusern in den Bergen hat nun keine spirituelle Bedeutung mehr. Das Mehr an Licht kommt den Menschen, die in dem Gebäude wohnen und arbeiten zugute.
5. Schein und Sein
Sosehr also durch Technologien und moderner Naturauffassung die Welt verändert wurde, so alt bleibt zum Teil noch die Sprache und das Denken als Anleitung für gegenwärtiges Handeln. Dazu folgende Beispiele aus unterschiedlichen Bereichen:
5.1. Das Neue in alter Gestalt
In die Metaphorik der Arbeiterbewegung wurden schon früh Elemente der landwirtschaftlichen Produktion aufgenommen, um auf die Zukunft, die Zukunftsgestaltung zu verweisen. Und zwar gerade in der Auseinandersetzung mit dem Antimodernismus:
Wir sind das Bauvolk der kommenden Welt,
wir sind der Sämann, die Saat und des Feld.
Wir sind die Schnitter der kommenden Mahd,
wir sind die Zukunft und wir sind die Tat.(18)Die Arbeiter, die das Bauvolk der kommenden Welt sind, beschreiten das Feld der Veränderung als Sämann. Ihre künftigen Taten sind säen und schneiden. Es sind nicht jene Elemente, die das Leben auf dem Land seit dem 19. Jahrhundert umgestalten und auch in den Bergregionen neue Möglichkeiten eröffnen. Noch 1937 heißt es in einem Lied aus dem Stück "Astoria" von Jura Soyfer, der gerne wandern und Schi fahren ging:
Drum nimm dir Pflug und Spaten
Und halte dich bereit
Und hol herbei deine Kameraden,
Und wo ihr grade seid:
Dort ist das Land, das dir gehört
Auf diesem Erdenrund.
Such nicht Astoria,
Mein Bruder Vagabund.(19)Während die Illusion, die entsteht, bei Soyfer durchaus im Kontext der modernen Massenkommunikation dargestellt wird, verbleibt die Landwirtschaft auch für ihn metaphorisch die Basis für die Zukunft. Astoria als "Licht" schafft diese Basis nicht. Der Lichtstrahl fällt bloß auf seine "Botschaft".(20)
5.2. Das Alte im neuen Gewand
Aber auch anderes Licht erweist sich als wenig wirksam:
Man kann das Licht unter drei Aspekten betrachten. Als lux betrachtet man es an sich, als freies Sichausbreiten und Ursprung aller Bewegung; unter diesem Aspekt dringt es bis ins Innere der Erde, erzeugt dort die Mineralien und die Lebenskeime und bringt den Steinen und Mineralien jene virtus stellarum, die eben Wirkung seines geheimen Einflusses ist. Als lumen besitzt es das esse luminosum und wird von den transparenten Medien durch die Räume transportiert. Als color oder splendor erscheint es als reflektiert vom lichtundurchlässigen Körper, auf den es auftrifft; in engem Sinn spricht man von splendor in Hinsicht auf die leuchtenden Körper, die es sichtbar macht, und von color in Hinsicht auf die irdischen Körper. Die sichtbare Farbe entsteht im Grund aus dem Zusammentreffen zweier Arten von Licht, desjenigen, das durch den durchsichtigen Raum strahlt: Das letztere aktualisiert das erstere.(21)
In Lichte dieses Zitat aus dem Buch Kunst und Schönheit im Mittelalter stellt sich die Frage, welches das Licht der Installation anläßlich des UNO Jahres der Berge in Wien war, mit dem das Machtzentrum der Republik Österreich in eine Berglandschaft verwandelt werden sollte:
Im Text des Österreichischen Bundespressedienstes heißt es: "Aus diesem Anlaß zeigt sich das Bundeskanzleramt im ungewöhnlichen Kleid."(22) Das "Kleid" mochte modifiziert worden sein, doch die gewünschte Verwandlung findet nicht statt. Das Foto des Österreichischen Bundespressedienstes zeigt deutlich - selbst bei größter spiritueller Begeisterung - ein Haus im irdischen Raum.
5.3. Die Beleuchtung der Berge
Mit der Beleuchtung des Machtzentrums zur Eröffnung korrespondiert die Beleuchtung der Berge, die als Höhepunkt des Jahres der Berge verstanden wurde. Im Vortrag an den Ministerrat der Republik Österreich, eingebracht von Kanzler und Vizekanzlerin zum "Internationalen Jahr der Berge 2002" und "Internationalen Jahr des Ökotourismus", in dem ein "Alpenglühen" als "österreichische[r] Höhepunkt des Internationalen Jahres der Berge 2002" vom 22. auf den 23. Juni 2002 (Sonnwendfeier) zum Beschluß vorgeschlagen wurde. Doch nicht nur in diesem Falle erwies sich die Natur (respektive das Licht auf den Bergen) als wesentlicher denn der Recycling-Versuch:
Zwischen Wien und der Schweizer Grenze sollen ab 22.30 Uhr insgesamt 300 Bergfeuer eine "Lichterkette" bilden, wobei Tourismusstaatssekretärin Mares Rossmann noch kürzlich von der Möglichkeit schwärmte, das eindrucksvolle Bild von einer Weltraumstation aus mit der Kamera festzuhalten. Dazu wird es nun "leider nicht kommen", erklärt Klaus Haselböck vom eigens ins Leben gerufenen "Verein Alpenglühen". Zur fraglichen Zeit überquere kein Satellit die Ostalpen, und außerdem würden beim Blick aus dem Weltraum die Lichter der Städte jene auf den Gipfeln überstrahlen. Die "Lichterkette" wird also niemand jemals zu sehen bekommen."(23)
Das Licht, das etliche Reden von Offiziellen zur Sonnwendfeier hielten, erreichte dafür eine aufgeschreckte Öffentlichkeit. Natur und Licht spielten in ihnen aber eine geringere Rolle. Es war die Welt der Gespenster, die sie wiederum evozierten.(24)
6. Bedeutung kulturwissenschaftlicher Forschungen
In der Gegenwart scheint es so, daß vor allem die Forcierung der Technologie, der Sicherheit usw. Vorrang habe. Wie wir aber gesehen haben, ist ein gemeinsamer Kern aller angeführter Beispiele, daß ein Selbstverständnis nur bedingt vorausgesetzt werden kann. Gerade auch deshalb, weil zum Beispiel die Naturwissenschaften wesentlich durch eine (metaphysische) Metaphorik präfiguriert werden. So exakt die Messungen sein mögen, so abgesichert die Experimente durchgeführt werden, es verbleibt des Defizit des Selbstverständnisses (oder allgemeiner ausgerückt: des kulturellen Verständnisses). Ganz im Gegensatz dazu die Position von Groh:
Der Mythos von Eigendynamik und Sachzwang verkennt, daß der Mensch gerade auch im Prozeß des technisch-industriellen Fortschritts und seiner Ausbreitung über die gesamte Welt mittels Marktmechanismen zum Schöpfer von Geschichte geworden und bis heute geblieben ist. Die Entwicklung der kulturellen Form der Welt ist uns keineswegs aus der Hand genommen.(25)
Das korrespondiert durchaus mit etlichen Vorstellungen im Zusammenhang mit "Global Governance"(26), in der der Gestaltung eine größere Rolle zukommen soll. Auch hier wieder zwei Beispiele:
6.1. Divergenz und Gemeinsamkeit
Aus der kulturellen Geschichte der Menschheit ergeben sich zwar Unterschiede beim kulturellen Zugang zu den Bergen. Es sind aber Unterschiede, die eine produktive Vielfalt ermöglichen. Es sind keine Unterschiede, die die Menschen trennen würden. Gerade solche zentralen Wörter wie Berge und Licht erweisen sich als Elemente, die Verbindendes zwischen den Menschen dokumentieren. Erst die Instrumentalisierung des Lichtes führt zur Differenz. Diese Instrumentalisierung ist aber nicht Teil einer Kulturgeschichte, sondern Teil der Geschichte der Mächte. Es bestehen, wie die UNESCO-Dokumente zeigen, daher durchaus Möglichkeiten, gemeinsame Perspektiven zu entwickeln.(27)
6.2. Das Programm
Geht man davon aus, daß Natur nicht nur ein Phänomen ist, das den Naturwissenschaften überlassen wird, daß Chemie und Technologie keineswegs ausreichen, um das (materielle) Überleben (nicht nur) in den Bergen zu sichern, ist es nur konsequent, daß auf Anregung vom INST eine Resolution der UNESCO beschlossen wurde. In dieser Resolution der UNESCO-Vollversammlung, die von der Republik Österreich unter maßgeblicher Mitwirkung von Ministerialrat Dr. Harald Gardos eingebracht wurde (31 C/DR.54), heißt es:
As to the content, a stronger engagement of the United Nations organization responsible for international intellectual cooperation for the phenomenon "mountains" is absolutely necessary. Apart from socio-economic and ecological questions, the International Year [of the Mountains - Red.] should form an opportunity to clarify the importance of this phenomenon in culture, science and education. Most valuable work in those areas is being done by NGOs such as "The Mountain Institute", or by the network "The Mountain Forum". An international conference in Ramsau/Austria in June 2001 under the title "The Names of the Mountains" stressed the necessity of further intensive research and action, and the upgrading to UNESCO level."(28)
Daß diese Resolution nicht umgesetzt werden konnte, ist wesentlich auf jene zurückzuführen, die mittels Licht-Installationen ihre Welt reproduzieren wollen und kein Verständnis dafür haben, daß die entscheidende Basis einer Wissensgesellschaft, die in ihrer Terminologie eine zentrale Rolle spielt, eine offene Produktion und Reproduktion von kulturellem Wissen erfordert. Und dies gilt auch in bezug auf den Einsatz des Lichtes.
Anmerkungen
(1) Vgl. dazu den Ansatz von Thomas Metscher: Kulturgeschichte der Bergwelt. Im WWW: http://www.inst.at/berge/projekte/metscher_kulturgeschichte.htm
(2) Naoji Kimura: Die virtuelle Geschichte in der japanischen Mythologie. In: "Jura Soyfer. Internationale Zeitschrift für Kulturwissenschaften". 11.Jg., Nr. 1/2002, S.12.
(3) Kimura, "Jura Soyfer", a.a.O., S.12.
(4) Umberto Eco: Kunst und Schönheit im Mittelalter. Carl Hanser Verlag: München, Wien 1991, S.71.
(5) Ebd., S.71.
(6) Ebd., S.72.
(7) Doris Behrens-Abouseif: Schönheit in der arabischen Kultur. Verlag C.H.Beck: München 1998, S.37/38.
(8) Cat Stevens im WWW: http://catstevens.com/discography/songs/00157.html. Abfrage vom 25.7.2002.
(9) Ruth Groh/Dieter Groh: Weltbild und Naturaneignung. Zur Kulturgeschichte der Natur. Suhrkamp Verlag: Frankfurt am Main 1991, S.7/8.
(10) Groh, a.a.O., S.110.
(11) Groh, a.a.O., S.49.
(12) Christian Rapp: Höhenrausch. Der deutsche Bergfilm Sonderzahl Verlagsgesellschaft: Wien 1997, S.15/16.
(13) Rapp, a.a.O., S.16.
(14) Rapp, a.a.O., S.17.
(15) 50 Jahre Pfänderbahn 1977. Herausgeber: Pfänderbahn AG Bregenz. Bregenz 1977.
(16) Bernhard Tschofen: Die Alpen schwebend erfahren. Zu Geschichte und Mythologie der Seilbahnfahrt. In: Architektur und Seilbahnen von der Tradition zur Moderne. Katalog zur gleichnamigen Ausstellung anlässlich des "Tiroler Seilbahntages 2000" im Rahmen der Woche "Bühne Wintersport" vom 26.3.-2.4.2000 am Sonnenplateau Serfauss-Fiss-Ladis, Tirol. Herausgeber: Wirtschaftskammer Tirol. Innsbruck 2000, S.12-19. Oder: Jürgen Winkler: Das andere Bild der Berge. Bergverlag Rother: München 2000.
(17) Francisco Asensio Cerver: Häuser der Welt. Könemann Verlagsgesellschaft: Köln 2000, S.829.
(18) Unser Lied. Medieninhaber und Herausgeber: Österreichische Kinderfreunde. Redaktion: Friedl Grundei. Wien o.J.
(19) Jura Soyfer: Szenen und Stücke. Europaverlag: Wien 1993. 2., überarbeitete Auflage, S. 176.
(20) Ebd., S.151.
(21) Eco, a.a.O., S.76/77.
(22) Text und Foto im WWW: http://www.hopi-media.at/fotodienst/bka/big.cgi?5538 Wesentlich differenzierter dagegen das Buch des Bundespressedienstes zum Jahr der Berge: Wunderbare Welt der Berge. Die österreichischen Alpen. Wien 2002. Mit Beiträgen von Martin Uitz, Franz Neuwirth und anderen.
(23) Hannes Schlosser: Sinnliche Energie der Alpen. 300 Bergfeuer im UNO-Jahr der Berge - Lichterkette nicht wahrnehmbar. In: Der Standard, 22./23.6.2002.
(24) Vgl. z.B.: Ewald Stadler: Das Feuer, das Volk, die Werte. In: Der Standard, 5. Juli 2002.
(25) Ruth Groh/Dieter Groh: Weltbild und Naturaneignung. Zur Kulturgeschichte der Natur. Suhrkamp Verlag: Frankfurt am Main 1991, S.9/10.
(26) Vgl. Ingomar Hauchler/Dirk Messner/ Franz Nuscheler: Globale Trends 2002. Fakten, Analysen, Prognosen. Fischer Taschenbuch Verlag: Frankfurt am Main 2001, S.11ff.
(27) Vgl.: UNESCO Universal Declaration on Cultural Diversity vom 2. November 2001. Im WWW: http://www.inst.at/kulturen/unesco/declaration_english.htm
(28) Im Schreiben der UNESCO vom 28. Februar 2002 an das INST zum Weltprojekt der Berge, das auf der Basis dieser Resolution hätte gefördert werden können, heißt es: "This initiative represents a very precious contribution to the promotion of cultural diversity by encouraging the knowledge of a common heritage which encompasses a variety of cultural aspects. Furthermore, I fully recognize your motivations and have to congratulate you for your efforts deployed in such an undertaking." Ebenso wurde in einem Schreiben von Bürgermeister Schrempf (Gemeinde Ramsau am Dachstein) an Frau LH Klasnic vom 22.4.2002 die ausgezeichnete Arbeit des INST gewürdigt und auf den Kontext UNESCO hingewiesen.
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