CyberPlaces und Jura Soyfers Naschmarkt, 2 Uhr früh

Dr. Hartmut Cellbrot (Aachen)

Abstract

Jura Soyfer’s short prose piece Naschmarkt, 2 Uhr früh stands out due to its special narrative arrangement, which enables the reader addressed by the narrator not only to enter the scenery of the Naschmarkt, but also to act independently as a participant. In certain respects, this accessibility shows a structural similarity to the virtual places, the cyberplaces, in computer-generated game worlds, which are characterized by the fact that they can be entered from the outside. They can therefore be understood as technical or – as in Soyfer’s Naschmarkt – as narratively generated extensions of reality. In general, therefore, the decisive question is not how reality relates to the virtual. Rather, the question arises whether the reality in the virtual does not point beyond itself.

I

Der knapp zwei Druckseiten umfassende Prosatext Naschmarkt, 2 Uhr früh zählt zu den populärsten Kurzprosastücken Jura Soyfers. Erschienen ist er am 15. August 1937 in der illustrierten Wochenendbeilage des Wiener Tag, Der Sonntag gemeinsam mit einer Tusch-Feder-Zeichnung des Zeichners und Bühnenbildners Bil Spira. Die als Text-Bild-Reportage präsentierten Arbeiten stellen ein herausragendes Beispiel der produktiven Zusammenarbeit von Soyfer und Spira vor, in denen die intermediale Wechselwirkung von Wort und Bild sich äußerst gelungen gestaltet.

Wenn sich auch die Bezeichnung Reportage zur Charakterisierung der von Soyfer gewählten Darstellungsform eingebürgert hat – beispielsweise spricht Horst Jarka von einer „impressionistischen Skizze“1, und offensichtlich haben die Leser des Sonntag es ebenso aufgefasst, – zeigt eine nähere Betrachtung, dass der Text die Kriterien einer Reportage – Augenzeugenbericht vor Ort aus der unmittelbaren Situation und Atmosphäre heraus verfasst – keineswegs erfüllt.

Darauf weist zunächst der vormoderne Charakter, der an der dargestellten Szenerie ins Auge sticht. Evoziert wird er durch die beim Eintreffen der Bauern und Gärtner auf dem Naschmarkt berufenen Transportmittel Pferdewagen mit „Kutschbock“2. Wohingegen auf dem Markt zu der Zeit, als Soyfer den Text schrieb, Kraftfahrzeuge unterschiedlichster Art allgegenwärtig waren.

Das wird augenfällig, wenn man zum Vergleich die Naschmarktreportage von Heinrich Holek Auf dem Naschmarkt aus der zweiten Hälfte der 20er Jahre, abgedruckt in der Ausgabe der Arbeiter-Zeitung vom 17. Oktober 1926, heranzieht.

Bereits dort, ein gutes Jahrzehnt früher, gehörten Kraftfahrzeuge zum alltäglichen Bild. Holek erwähnt Lastwagen, Motorräder und Straßenbahnen, die insbesondere für die Kleinhändler beim Transport ihrer Waren eine gewichtige Rolle spielten. Holeks Reportage lenkt – wie Soyfer – den Blick auf die Nachtzeit. Er schildert:

Am Nachmittag ist auf dem Naschmarkt nicht viel los. […] Dafür erwacht er, wenn auf den sonst belebten Straßen und Plätzen der Stadt noch tiefe Ruhe ist. Dann lebt der Naschmarkt auf! […] Güterzüge der Straßenbahn schleppen, von Stammersdorf und Kaiserebersdorf kommend, die Produkte der Gärtner und Landwirte aus jenen Gegenden heran. Schwere Lastautomobile fauchen mit ihrer nahrhaften Last dem Naschmarkt zu.

Infolge der fehlenden Technikpräsenz bei Soyfer weitet sich der Zeithorizont. Der Bezug zur aktuellen Wirklichkeit, notwendige Bedingung der Reportage, wird gelöst, und es öffnet sich ein unbestimmter Zeit-Raum, in dem das Geschehen des Naschmarktes sich verortet. Verstärkt wird die Dekonkretisierung und Deaktualisierung durch den Einschub einer Vermittlerinstanz. Eine solche Rolle verkörpert der Leser, der durch einen narrativen Kunstgriff diese Position übernimmt. Der Text setzt ein mit einer Leseranrede. Der Leser wird von einem Erzähler – und in der Tat übernimmt von Beginn an ein auktorialer Erzähler die Regie – direkt angesprochen und dazu angehalten, sich zum Naschmarkt zu begeben:

In Ihrer Eigenschaft als Maler, Bildhauer, Nationalökonom, Greißler, Bauer, Gärtner (Nichtzutreffendes ist zu streichen!) werden Sie hiermit aufgefordert, sich zwischen zwei und sechs Uhr morgens auf jenem Teil der Wienzeile einzufinden, welcher von der Kettenbrücke einerseits und der Steggasse anderseits abgegrenzt wird und gemeinhin den Namen Naschmarkt trägt. Ein Fernbleiben ist auf die Dauer unentschuldbar. (ebd.)

Die Aufforderung an den Leser, mit der der Text anhebt, bildet noch keine Phase der erzählten Vorgänge auf dem Naschmarkt. Vielmehr bezeichnet sie eine Schwelle, über die der explizit angesprochene Leser in das erzählte Geschehen gemäß seiner „Eigenschaft“ eintritt und als eine Figur des Marktes agiert. Erzähltheoretisch handelt es sich um eine narrative Paradoxie, die darin besteht, als Leser zugleich Figur der Handlung zu sein. Um diese spannungsvolle erzähltechnische Konstruktion zu konturieren, soll sie näher in Augenschein genommen werden.

II

Zunächst ist die vom Erzähler verwendete direkte Leseranrede in der Erzählliteratur nichts Ungewöhnliches. Seit dem 18. Jahrhundert tritt sie deutlich in der europäischen und amerikanischen Literatur in Erscheinung. Zu nennen wären u. a. Laurence Sterne, Henry Fielding, Christoph Martin Wieland, Edgar Allan Poe, E. T. A. Hoffmann, Jean Paul. Die direkte Leseranrede vermag dabei unterschiedliche Funktionen auszuüben. So kann der Erzähler in ihr explizit den Erzählprozess thematisieren3 oder Einfluss auf den Leser nehmen, seine Gedanken und Interpretationen in eine bestimmte Richtung lenken oder aber er bezieht den Leser in das Geschehen mit ein und lässt ihn daran teilhaben.4 Aber das erfolgt immer dergestalt, dass die Leserinstanz nicht aufgegeben wird. Gerade die Grenze indes, die die Leserinstanz von der Erzählwelt scheidet, wird im Naschmarkt-Text überschritten. Das sei kurz erläutert: Wie der fiktive auktoriale Erzähler ist der fiktive Leser als der narrative Adressat eines der Elemente der Erzählsituation, jedoch als Adressat vom Geschehen des Erzählten unterschieden. Exakt diese Trennung zwischen fiktivem Adressaten und fiktiver Erzählwelt wird zugunsten einer vorgängigen Verschränkung von Leser- und Geschehensebene aufgehoben, was prägnant in der Konjunktion von „Sie“ und „Bauer oder Gärtner“ zu Beginn des zweiten Absatzes zum Ausdruck kommt:

Wenn Sie Bauer oder Gärtner sind, haben Sie diese Aufforderung nicht abgewartet. Seit Menschengedenken treffen Sie, in tiefster Nacht schon, an der besagten Stelle ein: auf dem Kutschbock Ihres beladenen Gemüsewagens, eingemummt in einen Havelock, wenn nicht einfach in einen alten Kartoffelsack, schlafend oder frierend, denn der Weg vom Burgenland bis Wien ist lang. (341)

Erzähltheoretisch verschränken sich in der Leseranrede, „wenn Sie Bauer oder Gärtner sind“, die extradiegetische und intradiegetische Ebene, welche letztere nach Gérard Genette alles umfasst, was zur erzählten Welt gehört.5

Ermöglicht wird sie durch die Aufforderung, die, wie erwähnt eine Schwelle bezeichnet und sprachlich das winzige Wort „als“ in der Eingangswendung „In Ihrer Eigenschaft als Maler, Bildhauer, Nationalökonom, Greißler, Bauer, Gärtner“ [Herv. d. Verf.] markiert.6

Das Als macht die Perspektive explizit, unter der der Leser fortan auf dem Naschmarkt als Figur agiert. Das Als – „als Greißler, als Bauer“ etc. – fungiert als bewegliches Scharnier, das den Wechsel des außerhalb sich befindenden Lesers zur handelnden Figur innerhalb des Geschehens ermöglicht und in gewisser Weise als Drehscheibe hinsichtlich der unterschiedlichen Figurenbildungen wirkt.

Dabei bleibt eine narrative Differenz zwischen dem extradiegetischen, prinzipiell unbestimmten Leser, der weiterhin vom erzählten Naschmarktgeschehen geschieden bleibt, und den intradiegetischen Figurenbildungen bestehen.

Mit dem Eintritt in die erzählte Marktwelt hat sich nicht nur der aufgezeigte Statuswandel des Lesers vollzogen, sondern mit diesem auch eine Auffächerung in unterschiedliche intradiegetische Figurenperspektiven.

Anfangs hat es noch den Anschein, der Leser sei ausschließlich auf eine Perspektive, die ihm die Figur vorgibt, festgelegt, doch in Wahrheit wird er im Fortgang nacheinander in jede einzelne der berufenen Akteure versetzt. Dabei reicht die Spannweite vom teilnehmenden Beobachter – Maler, Bildhauer oder Nationalökonom – bis hin zu den auf dem Markt Handelnden: Bauer, Gärtner, Greißler; was nichts weniger zur Folge hat, als dass sich die weiter Bestand habende Perspektive des unbestimmten Lesers zugleich zu einem breiten Spektrum zum Teil gegenläufiger Figuren-Perspektiven auffächert:

Auch als Käufer sind Sie pünktlich dort: das schlaftrunkene Hirn, erfüllt von den Sorgen ihres `Greißlerg´schäftes´ und doch schon gerüstet, um den einen Groschen Preisdifferenz zu erhandeln, der ihnen ebenso wichtig ist wie dem Käufer. Und beide habt ihr dort allnächtlich ein schwieriges Wunder zu vollbringen: die Verwandlung von `Zuaspeis´ in tägliches Brot… (341)

Im Mittelpunkt dieser typischen Markszene steht das Aushandeln des Warenpreises, bei dem es für die Akteure auf die Differenz zwischen Einkaufs- bzw. Erzeugerkosten und Verkaufspreis ankommt, aus der sich der Gewinn herleitet.

Käufer und Verkäufer handeln zwar untereinander den Preis aus, sind hierbei aber höchst eingeschränkt. Ihr Spielraum wird begrenzt vom jeweiligen „Stand der Gemüsepreise“, den der „Nationalökonom“ dem „Marktbericht“ entnimmt, und auf den sie keinen Einfluss haben. Dieser ergibt sich u. a. aus der Summe gewinnträchtiger Transaktionen „reicher Gemüsegroßhändler“ an der Gemüsebörse, deren Preisbildungen den ökonomischen Gesetzen der kapitalgeführten Marktwirtschaft folgt, jenen unsichtbarsten und starrsten Schranken, die den Grad der Existenzsicherung bestimmen. (342)

Die „`Zuaspeis´“ – die Beilage zum Essen – in das Hauptgericht des „tägliche[n] Brot[s]“ zu verwandeln, gleicht daher einem „Wunder“. Denn wie Wunder der menschlichen Verfügungsgewalt entzogen sind, so auch die Bedingungen für eine hinreichende Lebenssicherung den Marktleuten. Dennoch muss es ihnen jede Nacht aufs Neue gelingen, den notwendigen Lebensunterhalt zu verdienen, was angesichts der ökonomischen Machtverhältnisse tatsächlich einem Wunder gleicht, wobei die Verwendung des Wortes Wunder aus Sicht der Börsenbeobachter die wahren Verhältnisse verschleierte.

Entscheidend ist es zu sehen, wie infolge des dargelegten narrativen Kunstgriffs die Position des Lesers von den Machtstrukturen nicht unberührt bleibt. Im Grunde befindet er sich in einer paradoxen Situation: Denn der Leser sieht seinen eigenen Blick von außen auf die im Text vorgestellten Figuren zugleich integriert in deren Perspektive, aus der sie – der Bauer, Gärtner, Käufer, Greißler – auf dem Markt handeln.

Zugespitzt formuliert besteht die Paradoxie darin, dass der Leser in das Geschehen ob der Figurenübernahme hineingenommen wird, dem er in der fortbestehenden Leserinstanz zugleich gegenübertritt.

Dadurch wird ihm der neutrale Blick von außen, der eines objektiven Zuschauers, verwehrt. Er sieht sich dazu aufgefordert, zu den aufgezeigten sozioökonomisch bedingten Machtverhältnissen, von denen die einfachen Marktleute abhängig sind, Stellung zu beziehen.

Dieser doppelte Status des Lesers, sowohl außerhalb als narrativer Adressat des Geschehens als auch innerhalb als agierende Figur zu fungieren, weist in bestimmten Hinsichten eine strukturelle Ähnlichkeit zum doppelten Status des Spielers in computergenerierten Spielwelten auf.

III

Denn diese sind dadurch charakterisiert, dass sie von außerhalb betretbare Orte sind. Spieler und Mitspieler schlüpfen in Spielfiguren und beziehen sich an den virtuellen Orten, den CyberPlaces, wirklich als Spieler aufeinander.7

Das rührt daher, dass sich die virtuelle Welt allein aus der Perspektive der jeweiligen Figur erschließt, in welcher sich der virtuelle Ort darstellt. So sehen beispielsweise in dem Spiel Counter-Strike die Spieler und Gegenspieler jeweils aus ihrer Perspektive die Szene. Das Bild auf dem Bildschirm ist nicht – wie bei einer Videoschaltung – Abbildung der materiellen Wirklichkeit, sondern das Bild ist eine sich auf die Spieler beziehende Darstellung einer virtuellen Welt.8

Sie unterscheiden sich daher grundlegend von anderen fiktiven Orten – z. B. in Romanen, Erzählungen oder filmischen Fiktionen, wo vermeintlich reale Orte – z. B. Balzacs Paris, Schnitzlers Wien oder Kafkas Prag – nur so benannt werden wie die tatsächlichen Orte. Dahingegen bereichern virtuelle Welten ihre möglichen und fiktiven Pendants um etwas, das sie grundlegend erweitert. Sie sind eben betretbare Orte, die sich, wie erwähnt, erst unter den Perspektiven der handelnden Figuren erschließen.9 Dies zwar nicht leibhaftig, aber in der Weise der technischen bzw. erzähltechnischen Vermittlung.

Die Strukturähnlichkeit zum Naschmarkt wiederum zeigt sich darin, dass auch in den Marktfiguren der Leser, da er per definitionem außerhalb der fiktiven Erzählwelt angesiedelt ist, innerhalb der Erzählsituation in den Figuren `wirklich´ anwesend ist, insofern der extradiegetische Leser sich in die erzählte Welt, an den virtuellen Ort des Naschmarktes begibt.10 Der fiktive Leser bietet sich indes nicht allein im Singular dar, vielmehr – und das macht die Ambiguität des Textes aus – vermag er infolge seiner Auffächerung in mehrere Figuren in der direkten Leseranrede zu Beginn ebenso im Plural verstanden zu werden. In dieser Hinsicht beziehen sich Leser in den Figuren als Bestandteil der Erzählwelt aufeinander. Dabei soll nicht außer Acht gelassen werden, dass vom fiktiven Leser eine Verbindung zum realen Leser existiert. Beide Typen sind sich zwar nicht gleich. Der fiktive Leser gehört neben dem Erzähler als der zweite Protagonist der Erzählsituation an. Gleichwohl vermag sich der reale Leser mit ihm zu identifizieren.11 Dies liegt in der Tatsache begründet, dass sich beide außerhalb der Geschichte befinden, d. h. extradiegetisch sind.

Soyfers erzähltechnisches Vorgehen, den Leser polyperspektivisch in das Marktgeschehen einzubinden, indem jeder der übernommenen Figuren eine andere Perspektive eignet, die ihm das Geschehen unter zum Teil gegenläufigen Perspektiven in der Folge der Abschnitte erschließt, darf zweifellos als ein bewusst gewähltes Verfahren gewertet werden. Es macht die Widerspruchsstruktur der sozioökonomisch bedingten Machtverhältnisse für den Leser sinnfällig erfahrbar.

Dergestalt betretbar erweist sich der Naschmarkt als ein virtueller Ort, der über narrativ erzeugte, widerwendige Perspektiven zugänglich ist.

In diesem Sinne können virtuelle Orte daher als technisch oder – wie bei Soyfer der Naschmarkt – als narrativ erzeugte Erweiterungen der Wirklichkeit begriffen werden. Generell ist daher die entscheidende Frage nicht, wie sich die Realität zum Virtuellen verhält. Vielmehr fragt es sich, ob nicht die Realität im Virtuellen über sich hinausweist.12

1 Horst Jarka: Jura Soyfer. Leben, Werk, Zeit. Mit einem Vorwort von Hans Weigel. Wien: Löcker 1987, S. 219.

2 Jura Soyfer: Edition 2012. Bd. 2: Prosa. Hg. v. Herbert Arlt. Wien 2012, S. 341-342, S. 341. Zitate aus Bd. 2 werden hinfort im fortlaufenden Text durch die jeweilige Seitenzahl nachgewiesen.

3 Wie es beispielsweise E. T. A. Hoffmann in seinem Kunstmärchen Der goldene Topf handhabt: „Überhaupt wünschte ich, es wäre schon jetzt gelungen, dir geneigter Leser! Den Studenten Anselm recht lebhaft vor Augen zu bringen.“ – Ders.: Der goldene Topf. Hg. v. H. Geiger. Wiesbaden: Vollmer 1972. (= Sämtliche poetische Werke, Bd. 1), S. 183.

4 Als ein treffendes Beispiel sei folgende Leseranrede aus Jean Pauls Roman Hesperus angeführt: „– Ich wünschte aber, meine Leser wären um diese Zeit durchs flachsenfingische Tor sämtlich geritten und diese gelehrte Gesellschaft hätte sich in die Stadt zerstreuet, um Erkundigungen von unserem Helden einzuziehen. Der Lesevortrab, den ich auf die Kaffeehäuser geschickt hätte, würde erfahren, daß der neue englische Doktor schon den alten gestürzt – dem Pfarrsohn in St. Lüne zum Regierratposten verholfen – und daß große Änderungen in allen Departements bevorstehen.“ – Ders.: Hesperus oder 45 Hundsposttage. Hg. v. Norbert Miller. München: Hanser 1989. (= Jean Paul: Sämtliche Werke, Abt. I, Bd. 1), S. 733f.

5 Zur Funktion der Leseranrede in Erzählwerken vgl. Gérard Genette: Die Erzählung. 3., durchgesehene u. korrigierte Auflage. Übersetzt v. Andreas Knop, mit einem Nachwort v. Jochen Vogt, überprüft u. berichtigt v. Isabell Kranz. München: Wilhelm Fink 2010, S. 99-104. Zu den einzelnen Elementen des Erzählens vgl. umfassend Wolf Schmid: Elemente der Narratologie. 3., erweiterte und überarbeitete Auflage. Berlin/New York: De Gruyter 2004. – Diegetisch oder intradiegetisch ist nach Genette alles zu nennen, was zur erzählten Welt gehört. Mit Diegese benennt man die Elemente der Handlung. Die extradiegetische Ebene dagegen befindet sich außerhalb der Diegese, so dass der Erzähler – und der fiktive Leser – nicht als Textfigur auftreten, während die intradiegetische Ebene sich innerhalb der Diegese befindet. Vgl. Heinz Anton: „Diegese“. In: Ansgar Nünning (Hg.): Metzler-Lexikon. Literatur- und Kulturtheorie. 4. Auflage. Stuttgart/Weimar: J. B. Metzler 2008, S. 130.

6 Bemerkenswerterweise findet sich der narrative Kunstgriff, den Leser als Handelnden in das Geschehen mit einzubeziehen, auf ähnliche Weise verknüpft mit einer Aufforderung bei Michael Scharang, der seit den sechziger Jahren in Österreich die „Soyfer-Rezeption“ als gesellschaftskritischer Autor neben anderen wie Heinz Rudolf Unger, Peter Turrini „begleitet“ hat. [Jarka: Soyfer (Anm. 1), S. 516.] Auch wenn sich die Art der Integration des Lesers in das Dargestellte hinsichtlich der Verspannung von Leserrolle und Figur anders als bei Soyfer gestaltet, worauf an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden kann, spricht einiges dafür, dass sich Scharang von Soyfer hat anregen lassen. Als hervorstechendes Beispiel hierfür wäre die Geschichte zum Schauen zu nennen. (In: Ders.: Schluß mit dem Erzählen und andere Erzählungen. Neuwied/Berlin: Luchterhand 1970, S. 73-84.)

7 Tobias Holischka vermerkt hierzu: „Die mediale Vermittlung ermöglicht uns das Betreten, Teilhaben an, Interagieren mit, Beleben dieser Welt.“ Dabei ist der „virtuelle Ort als versammelndes Prinzip der virtuellen Welt […] ein notwendiger Bestandteil der Bezugnahme der Spieler aufeinander, er vermittelt sie erst.“ „Allgemein ist es also der virtuelle Ort, der die Spieler versammelt und ihnen eine sinnhafte Grundlage bietet, auf der sie gemeinsam agieren können.“ Ders.: CyberPlaces – Philosophische Annäherungen an den virtuellen Ort. Bielefeld: transcript 2016, S. 73, 133, 132.

8 Vgl. ebd., S. 131.

9 Vgl. ebd., S. 65. ­­– Im Unterschied zu „Cyberspace als technisch-abstrakter virtueller Raum“ ist der CyberPlace, der virtuelle Ort, „wesentlich durch Perspektivität bestimmt“. (Ebd., S. 23, 21.) Als dargestellter und betretbarer Ort ermöglicht er es, verschiedene Perspektiven einzunehmen wie umgekehrt er allein (poly)perspektivisch zugänglich ist.

10 Diese doppelte Rolle, die der Leser bei Soyfer einnimmt, indem er ebenso als Handelnder auftritt, entspricht derjenigen, die die Akteure in „virtuellen Realitäten“ spielen. Sybille Krämer hebt hervor: Die Akteure in „virtuellen Realitäten“ sind „externe Beobachter und zugleich einbezogene Teilnehmer.“ Dies.: Zentralperspektive, Kalkül, Virtuelle Realität. In: Medien – Welten, Wirklichkeiten. Hrsg. von Gianni Vattimo u. Wolfgang Welsch. München: Wilhelm Fink 1997, S. 36. – In der Dopplung liegt auch der wesentliche Unterschied zu den rein virtuellen Mitspielern in Computerspielen. Vgl. hierzu Jonathan Harth: Virtuelle Spielgefährten und (proto-)soziale Plausibilität. In: Handbuch Virtualität. Hrsg. von Dawid Kasprowicz, Stefan Rieger. Wiesbaden: Springer 2020, S. 59-75.

11 Vgl. Genette: Die Erzählung (Anm. 5), S. 169.

12 Zur Bedeutung der Virtualisierung im Bereich der Erfahrung vgl. Bernhard Waldenfels: Experimente mit der Wirklichkeit. In: Medien, Computer, Realität. Wirklichkeitsvorstellungen und Neue Medien. Hg. V. Sybille Krämer. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1998, S. 213-243.