Zur Oper „Weltuntergang“ von Wilhelm Zobl

Hartmut Krones (Wien)

Dem Komponisten Wilhelm Zobl verdanken wir wahrscheinlich die bedeutendste Soyfer-Vertonung überhaupt, da er dessen „Weltuntergang“ in einer von Peter Daniel Wolfkind erstellten Fassung 1983/84 zu einer abendfüllenden Oper ausgestaltete. Sie wurde 1984 im Theater an der Wien uraufgeführt.

Zunächst sei kurz der Komponist vorgestellt: Wilhelm Zobl wurde 1950 in Wien geboren, studierte an der Wiener Hochschule für Musik und darstellende Kunst Gitarre, Klavier, Schlaginstrumente sowie Komposition und inskribierte daneben an der Universität Musikwissenschaft und Mathematik. Ab 1969 arbeitete er am Institut für Elektroakustik der Wiener Musikhochschule, wo er später auch lehrte, daneben promovierte er mit einer Arbeit über Hanns Eisler an der Berliner Humboldt-Universität zum Doktor der Philosophie. Als Komponist international erfolgreich, war er viele Jahre Geschäftsführer der IGNM-Sektion Österreich und wurde 1988 deren Präsident. Im März 1991 starb Wilhelm Zobl an einem Gehirntumor.

Soyfers „Weltuntergang“ ist hier wohl allen bekannt. Die Geschichte vom vorausgesagten, dann aber nicht eintretenden Weltuntergang, weil sich der herbeistürzende Komet in die Erde verliebt, ist geradezu ein Klassiker des Wiener alternativen Theaters der Zwischenkriegszeit geworden. Zobl, der sich eingehend mit Jura Soyfer und seinem Œuvre beschäftigte, hat seinen Zugang zu diesem Stück selber ausführlich beschrieben und dabei insbesondere die Mitte zwischen Kabarett und Theater hervorgehoben. Und weiter: Aus diesen, scheinbar so gegensätzlichen Elementen schuf Soyfer eine originelle Synthese, die der Musik die Rolle eines Vermittlers zwischen diesen beiden Polen einräumte. […] In diesem Stück geht es [wie bei Nestroy] um Verwicklungen angesichts eines auf die Erde zurasenden Kometen. Während Nestroy skrupellose Geschäftemacher anprangert, die mit den Ängsten der Menschen ihr Geld verdienen, schrieb Soyfer den „Weltuntergang“ 1936 als Warnung vor der drohenden faschistischen Gefahr.

Und schließlich berichtete Zobl: Bei der Musik bin ich ganz vom Text und den darin enthaltenen verschiedenen musikalischen Ebenen ausgegangen. Schon der Grundcharakter der Handlung, eine Farce mit kräftigen, derben Späßen, bedingt eine Musik, die psychologische „Überhitzung“ vermeiden muß. So entstand eine Form, die sich – wie manche andere meiner Kompositionen – konsequent zwischen die Stühle der etablierten musikdramatischen Genres setzt: eine Synthese von Oper, Kabarett, Musical, Revue, musikalisch-literarischen Formen etc. […].

Nun ist ja der gesamte „Weltuntergang“ eine Art „fake“-Stück, da dieses Ereignis nicht stattfindet, was de facto wohl das gesamte Publikum weiß. Und so ist auch gleich der eröffnende „Planetenwalzer“ (Nr. 2) von köstlicher Doppelbödigkeit. Während die Violinen eine reine G-Dur-Melodie spielen, steigt der Baß vom „G“ aus mit Halbtonschritten aufwärts und läßt zu diesen chromatischen Tönen jeweils einen zu ihnen „passenden“ Akkord erklingen. Nach und nach wird das Geschehen dann noch diffuser, um die nicht ernst zu nehmende Warnung als „fake“ darzustellen.

Tonbeispiel: „Planetenwalzer“, CD Zobl Nr. 1, 1’34“ – 2’02“

 Auch ansonsten schwankt Zobls Musik zwischen gleichsam übertriebenem Ernst und köstlicher Komik, und sein postmodernes Stilgemisch, das leicht verträgliche Atonalität, bewußt traditionelle Tonalität und zündende Tänze aus dem Bereich der Unterhaltungsmusik koppelt, steht auf der Höhe der sogenannten „musikalischen Einfachheit“ der 1980er Jahre. Trotzdem ist die Art, wie Zobl die Musik mit Symbolgehalt erfüllt und dabei den Text immer geradezu akribisch ausdeutet, beste musikgeschichtliche Tradition. So baut er in die Feststellung, daß der Mond nicht die Fehler der geliebten Frau Erde verrät, zunächst parallele Sextakkorde ein, ein altes Symbol für Schlechtes und Falsches, ehe er im Baß nacheinander verminderte Quint und Tritonus erklingen läßt. Die verminderte Quint ist als alte „Quinta deficiens“ nun aber immer Symbol für etwas Fehlendes, für ein Defizit – und hier fehlt ja die Ordnung; und der Tritonus ist der wohl ebenfalls bekannte „diabolus in musica“, der Teufel.

Wir wollen noch einige weitere Stellen aus Zobls Oper kurz betrachten. Im „Planeten-Ensemble“ (Nr. 5) mit dem den Planeten ansingenden Text „Konrad saus! Konrad braus! Zur Erd’ hinaus!“ hören wir im Orchester zunächst einen parallel geführten Abstieg, der dann sofort auseinanderdriftet und dieselbe Melodie zeitverschoben erklingen läßt – Konrad saust zunächst, dann braust er. Und mit dem Einsatz des Chores geschieht das gleiche noch einmal, nun in etwas anderer Form.

In der Nr. 15 sagt der Weltuntergangsprediger den Weltuntergang in „ernstem“ c-Moll voraus und stellt seine Worte auf einen absteigenden „Lamento“-Baß, doch die zweimalige Schlußkadenz geht jeweils mit der Führung As-Dur / G-Moll vor sich, und das ist eine sogenannte „phrygische Kadenz“, eine archaische, aus den Kirchentonarten bezogene Führung. Zobl ordnet dem „Prediger“ also eine quasi-religiöse Sphäre zu, durch welches Outrieren die „fake“-Nachricht zusätzlich als solche gekennzeichnet wird.

Es gibt noch eine andere Nummer, in der ein „Planetenwalzer“ erklingt. Hier paßt sich die Begleitung zunächst dem G-Dur-Duktus der Planeten-Singstimmen an, doch bereits in dem folgenden kurzen Zwischenspiel hören wir plötzlich fis-Moll, und bei dem Text „Wir dreh’n uns um die eigne Achs’“ dreht Zobl die ursprünglich (in der Nr. 2) stufenweise hochstrebende chromatische Baß-Bewegung zur Führung G–A–Gis–G um und paßt die Oberstimmen gleichsam harmonisch ein.

Lied und Ensemble „Geh’n ma halt a bisserl unter“ ist hingegen völlig diatonisch als Ohrwurm gestaltet und kennt anscheinend keinerlei Eintrübung. Doch hier wird die „fake“-Ebene durch die rhythmische Gestaltung eingebracht. Der walzermäßige 3/4-Takt, der zunächst „richtige“ Betonungen erfährt, wird bei „in der Kuchl“ durch die Tatsache, daß die hier angesprochene „Marie“ verweint ist, erstmals volltaktig deklamiert: „in der Ku-chel“; die plötzliche Hemiole, quasi ein 3/2-Takt, zeigt an, daß hier etwas nicht stimmt, anders ist. Echte Falsch-Betonungen folgen dann bei „Der Franz aber lacht“, bei „Was mir das schon macht?“ und besonders bei „Ich weiß mir dazu ein Sprü-chel!“ Das kann nun wirklich kaum mehr als verschobene Hemiole gedeutet werden, die erst beim Refrain tatsächlich eintritt: „Geh’n ma halt a bisserl unter“ usw.

Tonbeispiel: Zobl, CD 1, Nr. 3, 12’50“ – 14’10“

 Ein letztes Beispiel: Der Jubilus des Schlußchores, der sich nach anfänglichem sowie immer wieder eingebrachtem fis-Moll dann doch in A-Dur und E-Dur entlädt, wird schließlich durch den Papagei konterkariert, der nach dem Suizid des Selbstmörders die „herrliche und große“ Zukunft dem „schönen Untergehn“ entgegenstellt. Der Jubel wird als fake entlarvt, indem sowohl der Dominante „d“ als auch der Tonika „g“ kleine Sekunden vorgeschaltet werden: „des“ und „as“. Durch das „des“ stellt sich zunächst eine „quinta deficiens“ ein, erneut die Darstellung von „Fehlendem“ bzw. „Fehler“. Und das „as“ ist in Beziehung zum Grundton „g“ wieder ein sogenannter „neapolitanischer“ Halbton-Anschluß und dadurch besonders negativ. Besonders schön ist dann die Schalkhaftigkeit Zobls, normale Dreiklänge wie atonale Führungen aussehen zu lassen. Das erste „Untergehn“ (f–b–cis) ist, wenn man das „cis“ als „des“ sieht, de facto der b-Moll-Quartsextakkord f–b–des, das zweite (f–cis–b) stellt den b-Moll-Dreiklang dar, und das letzte „Untergehn“ (ges–cis–b) den Fis-Dur-Sextakkord. Das Werk endet mit einem scharfem Triller auf dem Zentralton des Werkes „fis“.

Tonbeispiel: „Voll Hunger und voll Brot“ Zobl CD 2, Nr. 3 9’13“

 Und dieser Zentralton „fis“ ist es, der ja die den fake als solchen ausweisende verminderte Quint hervorgerufen hat.

Übrigens haben Wolfkind und Zobl in den Ablauf von „Weltuntergang“ auch Soyfers „Wanderlied“ hereingenommen. Und dieses Lied wird durch einen „bizarr kostümierten Trachtenchor“ namens „Abendrot“ vorgetragen, der dem Volk die letzten Stunden vor dem Weltuntergang besonders schön gestalten soll und daher im Rahmen eines „Ende-Events“ als Ausführender eines „ergreifenden Chorsatzes“ angekündigt wird. Die Dirigentin trägt ein „üppiges Brokatdirndl“ und gibt die Töne mit der Stimmgabel an.

Diese Szenerie ist typisch für Wilhelm Zobls grimmigen, die feiste Bürgergesellschaft sarkastisch geißelnden Humor und fängt zudem die Atmosphäre von Soyfers ebenfalls zugleich ernstem wie auch kabarett-artigem „Mittelstück“ bestens ein.

Originalmanuskripte: Jura Soyfer Open Access Archiv
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