Herbert Arlt (Wien)
Bedanken mich ich mich, dass Bezirksvorsteher Thomas Steinhart den Polylog im Festsaal der Bezirksvorstehung Simmering eröffnete. Er hatte in seiner Eröffnungsrede darauf hingewiesen, welche konkrete Bezüge es von Jura Soyfer zu Simmering gibt.
Bedanken möchte ich mich auch bei denjenigen, die Öffentlichkeit für Jura Soyfer in Simmering geschaffen haben und schaffen: den MitarbeiterInnen der VHS Simmering und insbesonders ihrer Zweigstelle Leberberg, der Bücherei Leberberg, insbesonders der Bruno Kreisky Schule, aber auch anderen Schulen, Karl J. Boisits in seinem Kreis und Wilfried Allé mit seiner AZ neu sowie seinerzeit dem Kulturforum Simmering. Bereitschaft zur Unterstützung gibt es auch bei den Grünen im Bezirk. Erfreulich war der Schwerpunkt in Punkt 11im November 2023, eine Zeitschrift, die an alle Haushalte in Simmering ging. Dagegen sah sich die Bierpartei zu keiner Unterstützung in der Lage, nicht einmal zu einem Gespräch. Und zu den Gesprächsverweigerern und Verhinderern gehört auch die Vorsitzende der Kulturkommission in Simmering.
In diesem Kontext geht es nicht nur um einen finanziellen Schaden, der dem Bezirk Simmering zugefügt wird (Entfall von Übernachtungen, Nutzung von Gaststätten, Einkauf), sondern es geht vor allem um die Verweigerung der Erkenntnis, welch grundlegende Bedeutung Kultur für einen Bezirk, für eine Stadt, für globale Entwicklungen hat. Die Höhe des Kulturbudgets in Simmering, die beachtlich ist, sagt noch nichts darüber aus, wie es eingesetzt wird.
Anhand des Stückes „Der Weltuntergang“ lässt sich sich die grundlegende gesellschaftliche Bedeutung von Kultur sehr gut zeigen, wie durch Kultur Zugänge zur Welt geschaffen werden. Ich beginne mit einem einfachen Problem, das im Bezirk eine große Rolle spielt: dem Verkehr. Bei einer aktuellen Inszenierung vom Weltuntergang in Wien wurde aus vermeintlicher Aktualisierung die Lingua Tertii Imperii (die Sprache der NationalsozialistInnen) gestrichen und dafür Klimakleber ins Stück eingeführt. Tatsache aber ist, dass nach der Okkupation Österreichs durch Hitlerdeutschland mit Gewalt der Autoverkehr im Alltag des besetzten Landes durchgesetzt wurde. Darunter gab es Gefängnisstrafen für jene, die die Priorität der Autos nicht achteten. Zum Schaden der Bevölkerung in Simmering, in Österreich ist nicht nur im Fall des Autoverkehrs nationalsozialistische Programmatik im Alltag verblieben: darunter im Umgang mit Essen, Trinken, Gesundheit etc. Es fehlen kulturhistorische Kenntnisse und auch die Einbeziehung heutiger wissenschaftlicher Ergebnisse. Daher ist die Kultur der historischen Verlierer bedauerlicherweise noch aktuell.
Eine wichtige Szene im Stück „Der Weltuntergang“ ist der Wortwechsel zwischen Hitler und Professor Guck, der die Bedrohung der Welt erkannt hat. Diese Szene kann als Kabarettszene gelesen werden. Und Knut Ove Arntzen, der ausgezeichnete Kenner von Theateraufführungen weltweit, hat in seinem Beitrag gezeigt, welche Bedeutung Kabarett im heutigen internationalen Theaterdiskurs hat. Aber diese Szene im Stück „Der Weltuntergang“ kann auch dahingehend verstanden werden, dass die NationalsozialistInnen den Krieg verloren, weil sie in rassistischer Arroganz Einstein ignorierten. Auf den Einsteinschen Erkenntnissen jedoch bauten die Kenntnisse auf, die die Wende in der Waffentechnologie brachten.
Die Szene Hitler/ Guck daher auf Kabarett zu reduzieren, mißachtet die Bedeutung der Soyferschen Kunst, wie sie insbesonders Georg Mittendrein bei seinen Soyfer Inszenierungen entfaltete. Tausig, Qualtinger, Mittendrein, Weyers und viele andere verstanden nicht nur den politischen Gehalt eines Stückes wie „Der Weltuntergang“, sondern vor allem die Ästhetik, die von grundlegender Bedeutung ist. Denn im Falle von Journalismus, Wissenschaft, Forschung geht es heute oft nicht um Fakten, Methoden, sondern um Framing, Erzählungen etc. Wiederum findet eine Ästhetisierung zur Organisation von Lügen statt, die seit dem 19. Jahrhundert im Rahmen einer neuen Kriegsführung eine zentrale Rolle spielt. Diese neue Kriegsführung im Kontext von Massenkommunikation muss auf motivierte Massen aufbauen (anders als in „Wallensteins Lager“ von Friedrich Schiller, wo es um Sold geht/ dort wo Sold heute im Mittelpunkt steht – Blackwater, Wagner Group etc. – kommt es notwendigerweise immer zum Konflikt mit dem Staat).
Diese Erfordernisse der Kriegsführung im Kontext von Massenkommunikation strukturieren bis heute „Kulturen“ in einer irrealen Weise. Diese Instrumentalisierungen von Kulturen im Sinne von „Nationalkulturen“, „Leitkulturen“ sind verantwortlich für Konflikte und Kriege, aber auch für die Einschränkung der Wettbewerbsfähigkeit. Verantwortlich dafür aber sind nicht die Massen, sondern die „Eliten“.
Alessandra Schininà hat in ihrem Beitrag Komik und Apokalypse gezeigt, dass die Massen bei Soyfer nicht die Dummen sind. Wie sie belegt, hebt sich das Stück „Der Weltuntergang“ deshalb von anderen literarischen Darstellungen ab. Im Kern geht es in diesem Stück, das zu Zeiten der austrofaschistischen Diktatur 1936 auf die Bühne kam, nicht um eine Bedrohung auf dem Weltraum, sondern um Diktaturen, Krieg, Revolution. Die revolutionären Massen sind es, die versuchen, den Weltuntergang durch Krieg zu verhindern.
Weiters belegt Schininà, dass ein drohender Weltuntergang (Krieg) auch die Zeit gewinnträchtiger Geschäfte ist. Das entspricht ganz der Tradition Nestroys, der vier Stücke schrieb, in denen ein Weltuntergang durch einen Kometen droht. Aber jeweils ging es nur um Geschäftemacherei, nicht um reale kosmische Bedrohungen. Und auch heute steht Profitsucht im Mittelpunkt, wenn es um Rohstoffe, Produktionen und die Bewertungen der Auswirkungen auf Natur und Gesellschaft geht.
Im Angesicht der heutigen Weltlage geht es aber um ganz neue Bedrohungen im Vergleich mit der Zeit von Nestroy oder Soyfer. Die „militärische Revolution“, die vor 500 Jahren begann, hatte bereits im vorigen Jahrhundert waffentechnologisch dazu geführt, dass die Bewohnbarkeit der Erde für Menschen beendet werden könnte. Der Einsatz dieser Waffen wurde daher bisher vermieden. Nun kommt aber dazu, dass auch durch die gegenwärtigen Produktionsformen der Bewohnbarkeit der Erde durch Menschen ein Ende gesetzt werden kann. Hier fehlt es bei vielen an der Einsicht, dass kleine Veränderungen bereits dazu führen können, dass sich die Situation grundlegend ändert. Dann wird die Erde einer der rund 600 Billionen Himmelskörer sein – unbewohnbar, wie dies die Regel ist.
Es schadet also nicht, sich durch die Auseinandersetzung mit Sprachen, Literaturen, Künsten auch in Simmering einen Zugang zu heutigem Wissen zu verschaffen. In diesem Zusammenhang geht es nicht nur um Schlagwörter, sondern es geht vor allem darum, nicht nur Buchstaben, Buchstabenformationen zu erkennen, sondern diese auch zusammenhängend verstehen zu können. Dies ist nicht leicht in einer Welt, die auf Täuschung setzt. Das Stück „Der Weltuntergang“ kann dazu beitragen, solche Täuschungen zu erkennen. Das Angebot gibt es an den Bezirk Simmering, sich solche Weltzugänge zu verschaffen. Nicht nur das kostenlose Internetangebot steht zur Verfügung, sondern zum Beispiel auch ZOOM Veranstaltungen zur Einführung.
Die Nutzung der kulturellen Zugänge wären auch nichts Neues in Wien. Gerade in Wien gibt es zum Beispiel seit dem 19. Jahrhundert mit den Volkshochschulen Einrichtungen, die für solch einen Wissenstransfer gedacht waren. Heute dagegen werden zum Beispiel Räumlichkeiten vermietet, anstatt auf Kooperation zur Vermittlung zu setzen. Im Rahmen eines Symposions, dessen Ergebnisse ich mit Michael Ludwig (dem jetzigen Bürgermeister, seinerzeit pädagogischer Assistent) herausgab, wurde zum Beispiel die neue Konzeption der gesellschaftlichen Positionierung der Bibliotheken in Wien vor gut 30 Jahren präsentiert. Eine solche Neupositionierung wäre auch heute wieder erforderlich. Die Jura Soyfer Gesellschaft hat in ihren 35 Jahren gezeigt, welche Innovationen möglich sind. Weltweit werden diese Angebote genutzt. Simmering zeigt in anderen Bereichen auch, dass es der Zukunft zugewandt ist.