Knut Ove Arntzen: heutige Theaterdiskurse

Der Weltuntergang von Jura Soyfer
Ein Beitrags zum 32. Jura Soyfer Symposion – 24. November, Bezirkshaus Mariahilf, Wien

With an English Summary
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                                        Knut Ove Arntzen (Bergen, Norwegen)

 

Der Weltuntergang von Jura Soyfer ist ein Schauspieltext aus 1936, den man als Text oder Inszenierung studieren kann. Die Frage von der Beziehung zu heutigen Theaterdiskursen ist eine ganz offene, und es kommt auf die Interpretationen an, die in beiden Fällen relevant für unser Verständnis sein können. Der Text als Vorlage einer Inszenierung  indiziert das kabarettistische so wie auch eine dokumentarische Annäherung. Das Persönliche, das Soziale und Authentische spielen  in diesem Stück eine immer steigende Rolle – so wie auch in den heutigen Theaterdiskurse. Die Realzeit spielt eine immer grössere Rolle, und da überschneiden sich unterschiedliche Zeiten der Realzeit mit der Kunstzeit. Die Kunstzeit wird mehr und mehr real, was in den 2010er und 2020er Jahren ebenso wie in den 1920er Jahren der Fall war. Denn sowie damals als auch heute hat das Theater etwas mit Referenzen zu tun, die von Gemeinschaftsbewusstsein, dem Neo-Politischen sowie auch interaktiven bewusstseinserweiternden Mitteln geprägt sind.

Heute können wir von neuen Quellen des Theaters sprechen, soweit es sozial, körperbezogen und neo-politisch zu definieren sei. Wir können sogar von einem Theater der neuen Energien sprechen, das sich zwischen den sozialen und kulturelle Identitäten befindet, in Richtung Ambiente und site specific.  Kabarett, Club und gemeinsame Erfahrungen spielen mit dem, was ich als clubbing effect beschreiben würde. Es wechselt zwischen unterschiedlichen Dekaden und Recycling und dadurch auch mit einer visuellen Dramaturgie des postmodernen Theaters und spektakulären Theaters sowie auch Verwirklichung von Performativität. Es kommt zu einer shared experience und generiert eine transgressive Ästhetik. In diesen Prozesse werden theatralische Körper zu biographischen, wirklichen Körper, was durch physische Handlungen, Situationen und Porträts eine neue Erzählweise erzeugt, die mit lineare Handlungen nicht mehr in Einklang sind. Es ist ein Spiel zwischen Illusion und nicht-Illusion. Wir können auch von einem gemeinsamen Spiel zwischen unterschiedlichen Räumlichkeiten und dadurch auch einen Zusammenfall zwischen Kabarett der Zwischenkriegszeit und Club-Kultur der heutigen Zeit sprechen. Auf diese Weise entstehen neue Formen der Manifestationen unterschiedlicher Richtungen so wie auch in Richtung eines pop-politischen Radikalismus. Also können wir in diesem Sinne etwas über das Stück Der Weltuntergang sagen. Soyfer hat Nummern und Tableauxs in seinen Stücken vorgeschlagen, die auch für heutige Theaterdiskurse aktuell sind. Es handelt sich in diesem Stück sogar auch um eine Apocalypse, die als Allegorie zu verstehen ist, und ganz konkret eine Allegorie im barocken Sinne, wie das Gespräch zwischen dem Mond und der Sonne.

Clubbing ist ein Basiskonzept für das Ambiente Konzept, das mit einer neuen Wahrnehmung für das Theater und und die visuelle Kunst zugleich verbunden ist. Wie können wir eigentlich die Zeit in der wir leben, definieren, wenn ein Raum zum Leben fehlt? Diese Frage hat Edgar Jäger schon 1993 gestellt (1), und seine Antwort war, dass die Suche nach neuen Erlebnisräume wichtig war. Bilder und Metapher, Raumschiffe und Wohnräumlichkeiten können dazu verwendet werden, einen Raum für das Theater auch heute zu finden. Richtlinien sind dann gerade das Ambiente oder Immersive, die von Techno und House-Parties angeregt worden sind. Dafür sind Theatergruppen wie Baktruppen aus Norwegen, Wooster Group von den USA, Forced Entertainment von Grossbritannien gute Beispiele, die alle Elemente vom Kabarettistischen haben. Deshalb sind sie auch mit der Realzeit verbunden, was mit dem Performativen einher geht. Ebenso ist das Kabarett zur Zeit von Jura Soyfer wie heute zu verstehen. Die erwähnten Gruppen gehörten alle zu einer neuen Generation von kleineren Gruppen die in einer avantgardistischen Tradition standen und noch stehen. Sie wurden auch die postmoderne Kunst des Regisseurs dazu inspiriert, mehr performativ zu arbeiten. Ein Zeichen dafür ist, wie die grossen Theater und grossen Museen unter Druck stehen, um eine neue Generation heranzuziehen. Um das zu verwirklichen wird Event-Kultur eingesetzt. Die Kunstkuratorin Ute Meta Bauer hat darüber gesprochen, wie Disc-Jockeys in den grossen deutschen Museen eingeladen worden sind, um die Museen dazu beitragen, die Räumlichkeiten der Ausstellungen musikalisch zu inszenieren (2). Es gibt also einen Zusammenfall zwischen Club-Kultur, Kabarett- und Erlebnis-Kultur in neuen Räumlichkeiten des Theaters und der Kunst.

Postmoderne Ästhetik ist im Theater und der Dramaturgie ein Spiel mit Virtualität, Illusion und Nicht-Illusion. Der Kontext des Spiels selbst ist ein Teil des Kunstwerks. Der deutsche Experte für Pop-Kultur, Diedrich Diedrichsen hat über das Konzept Club in Verbindung mit neuen kulturellen Perspektive geschrieben, und er hat formuliert, dass dieses Konzept als Metapher verstanden werden müsse, die eine Fusion zwischen Club-Kultur selbst und alternative Räumlichkeiten für das Theater erzeugen kann, mit Bezug auf die Weise, dass die Pop-Community eine politische Dimension erworben hat. Zum Beispiel vertritt die argentinische Choreografin Constance Macras, die in Berlin tätig ist,  einen pop-politischen Radikalismus. Im Tagesspiegel wurde geschrieben, dass sie ein Star der Subkultur sei, die die Beletage des europäischen Theater erobert hat (3).

Noch dazu können wir den theatralischen Blick des Zuschauers als wichtig hinzufügen, was Interaktion zwischen Bühne und die Zuschauer ermöglicht. Der schwedische Choreograph und Tanzkünstler Mårten Spångberg hat formuliert, dass «…was wir auf der Bühne machen und was wir unter dem Publikum tun, gleicht sich letzen Ende aus. Alle Realitätsaspekte sind da…all the Reality aspects are present» (4). In diesem Sinne können wir auch Der Weltuntergang als Kabarett verstehen. Kabarett und kabarettistische Dramaturgie ist eben auch ambient, pop-ambient und vielleicht auch pop-politisch.

Aus der Anthropologie kennen wir wie kulturelle Ausdrücke der Weltkulturen, auch unter Einbeziehung der indigenen Kulturen, die sich manchmal auf Tanz und ritualistische  Vorgänge beziehen, so wie zum Beispiel grönländische Masken- und Trommel-Tänze beim Tuukkaq-Theater als Beispiel dienen können. Noch dazu können wir die amerindianischen Pow-vowos hinzufügen, die Feste wo Geschenke gegeben werden. Erlebniskultur hat also ökonomische und politische Hintergründe. Es gibt eine Verbindung zwischen Ritualen und das westliche Party-machen der Housekulturen. Der DJ ist Schamane der Moderne geworden. Die Interaktion bedeutet viel. Die britische Theatergruppe Forced Entertainment, von Tim Etchells geleitet, hat viel mit der Interaktion der Blicke gespielt, und auch mit Katastrophenszenarien als Motiv und Metapher gearbeitet. Insofern erinnern sie an Jura Soyfer.

Der Begriff Culture-Jamming kommt aus dem Situationismus und lässt sich in diesem Kontext definieren: Die Darstellung von Aktionen mit künstlerischen und theatralischen Wirkungsmittel als Jamming, wie in der Jazzmusik auf gemeinsame Improvisationen bezogen, je nach dem welche Statements gemacht werden sollen. Es lässe sich als Neo-Situationismus definieren, und kann auch in Verbindung zum Aktionismus gestellt werden. Also meine ich, dass wir in dieser Richtung etwas über Jura Soyfers Weltuntergang sagen können. Die Acopalypse und die Landschaften der Katastrophe werden immer ein Teil davon sein. Das ist die Realzeit der Kunstzeit!

Referenzen:
(1) Edgar Jäger zitiert in https://www.inst.at/trans/9Nr/arntzen9.htm
(2) Cf. Ute Meta Bauer: «Vision 2000. Kunst und Kultur in der Verwertungsgesellschaft», Vision Zukunft #2. Kunst in der Demokratie, Ausdruck 4, Künstlerhaus Mousonturm, Frankfurt/M 1999, S. 92.
(3) Peter Laudenbach, Der Tagesspiegel, Berlin, im <Schaubuehne-newsletter.lists.schaubuehne.de>, 5.10.2004.
(4) «Good good very good. Art in Norway», Debatte in Frankfurt/M, Künstlerhaus Mousonturm, Nov. 1999.

English summary

The Collaps of the World by Jura Soyfer is a playtext from 1936, which can be studied both as text and staged performance. In which way it relates to discourses of the theatre today is very open one, and it depends on the interpretations, which can be seen in relationship to both the textural and scenic arrangements. If we look at the text as pretext to a performance, it indicates the cabaret style of dramaturgy as well as a documentary approach. The personal, the social and authentic is very present in the play as is also the case in theatrical discourses of today. Realtime is an even more important dimension, as it was in different periods of artistic creation, so also in the 2020s as well as in the 1920s and 1930s. Then as well as now theatre has to do with references and social consciousness, the new-political and interactive and mind-blowing means of expression. We could speak about new sources for the theatre when it comes to a theatre of social and cultural identities, in direction of the ambient and site specific. Cabaret, clubbing and shared experience together creates a clubbing effect. There is generally said an exchange between different decades being recycled, applying to a visual kind of dramaturgy of a postmodern and spectacular kind. Postmodern theatre has a performative character. This way there is a shared experience coming, generating a transgression aesthetically. In this processes theatrical bodies are changed into biographical and real bodies marked by physical actions, situations and portraits of a new way of telling in theatre. This is breaking away with linear action. It is an interplay between illusion and not-illusion. We could also speak of a playfulness between different locations, creating a congruency between club culture of today and the cabaret style of the interwar period. This way we can see new manifestations coming up in different directions like in pop-political and radical expressions. So, this way we can have an understanding of The Collaps of the World both as a play text and a staged performance. Jura Soyfer wrote numbers like in a pantomime, which can also be used in theatre discourses of our time. This also corresponds to the apocalyptic in an allegorical sense, and maybe even more concrete so, allegories in a barock sense. Like in the conversations between the moon and the sun. There are may examples of how Real-Time becomes Artistic time, not the least in the way also catastrophes are thematized in todays theatre, like in Forced Entertainment and their ironic playfulness with individual as well as societal crisis.