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Nr.
3/2002 |
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Zum 90. Geburtstag Matinee im Burgtheater Ulf Birbaumer
Virtuelle Ausstellung "Jura Soyfer"
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Editorial | Teile der österreichischen innenpolitischen und der österreichischen kulturellen Szene haben in diesen Jahren etwas gemeinsam: ihr Interesse gilt ausschließlich dem Schein (den Machtkämpfen bzw. anderen Äußerlichkeiten) und keineswegs dem Sein (den sozialen Interessen, den gesellschaftlichen Potentialitäten und schon gar nicht der Poesie). Bisher war mir dies unvorstellbar, aber der Tod wurde im "Falter" (den ich im übrigen durchaus schätze und nur wegen der Wertschätzung hervorhebe) zur Kurzbiographie Jura Soyfers, die Vernichtung von Jura Soyfer zum Lebensinhalt. Wörtlich lauten die eröffnenden Sätze: "Die Kurzfassung der Geschichte ist auf einem Grabstein eines jüdischen Friedhofes in Staten Island zu lesen: Our beloved son and dear brother Juri Soyfer – died Feb. 16 1939, age 26." Und zur Krönung wird der Satz hinzugefügt: "Die Flucht nach Amerika war Juri Soyfer, der sich Jura nannte, nicht mehr lebend gelungen [ ]." (Falter 49/02, 65.) In diesem Kontext der Reduzierung des Lebens auf den Tod, die nicht nur den Fehler in Bezug auf die Selbstbenennung (Juri/Jura) beinhaltete, sondern nur so von Fehlangaben wimmelt, ist es denn auch kein Wunder, daß gerade das große Liebesthema im Werk nicht entdeckt werden kann: "Der Mensch Soyfer bleibt in seinen Texten – ein einziges (!) Liebesgedicht ist überliefert – weitgehend unsichtbar." Wieviele schöne Liebesgedichte gibt es denn, wie das Lied von der Erde im Stück "Der Weltuntergang", wieviele schöne Liebesszenen wie im Stück "Astoria" – gerade, weil sie auch stets in eine Atmosphäre des Lachens, der Heiterkeit, des Optimismus eingebettet sind. Diese Ignoranz der Soyferschen Texte verbindet sich mit der Ignoranz der Ästhetik. Es zeugt selbstverständlich von völliger Unkenntnis der Poesie, wenn überhaupt die Forderung aufgestellt wird, daß das Subjekt eines Dichters als Subjekt im Text sichtbar sein soll. (Das umgekehrte Missverstehen führte bei einem Politiker wieder einmal zur Forderung, den Text eines österreichischen Künstlers zu verbieten, weil in dessen dramatischem Text ein Mann einen Knaben mit einem Stein erschlug und der Politiker daraufhin den Künstler kriminalisierte.) Diese Reduktion auf das Biographische verrät vielmehr viel über die Vorstellung vom Funktionieren des öffentlichen Lebens: kenne ich Deine Biographie, kenne ich Dich und Dein "Werk". Das Werk braucht dann auch gar nicht mehr zur Kenntnis genommen zu werden. Für das (Vor-)Urteil reichen ein paar Stichworte. Es ist daher bezeichnend für die Qualität der Kulturpublizistik, daß anlässlich des 90. Geburtstags (aber auch in verschiedenen sonstigen Debatten) in einer Vielzahl von Texten über alles mögliche geschrieben wird, was Soyfer noch werden hätte können, über die Unreife (wie zum Beispiel bei einem Käse) oder die Fragmentarität. Da werden zum Beispiel ernsthaft folgende Sätze formuliert: "Der Eindruck eines geschlossenen Werks, den eine vierbändige Gesamtausgabe vermittelt, täuscht: Wie der Roman ist Soyfers uvre insgesamt notgedrungen Fragment geblieben." Damit wird die Bezeichnung der Ausgabe (Werkausgabe) und die Überlieferungsgeschichte (eine Vielzahl von Texten, darunter der Roman, wurden bisher nicht aufgefunden) einfach nicht zur Kenntnis genommen. Und neugierig wäre ich, ob jemand in der Lage wäre, ein "geschlossenes Werk" vorzuführen (denn nur so könnte eine derartige Behandlung auch bezeichnet werden). Zusätzlich wäre selbstverständlich die Frage zu stellen, welchen ästhetischen Wert ein "geschlossenes Werk" haben sollte. Ist es nicht vielmehr Auszeichnung eines poetischen Werkes, daß es offen ist? Freut sich nicht auch der Verfasser dieses unsäglichen Artikels, daß er zumindest zum Abschluß seines Artikels über Jura Soyfer ein paar Sätze zitieren kann, die zu ihm zu passen scheinen? Nicht besser als die öffentliche Ignoranz ist freilich das Schweigen. Auch in diesem Schweigen drückt sich Ignoranz aus. In der Ausstellung "Jura Soyfer und Theater", die 1992 im österreichischen TheaterMuseum eröffnet wurde, wurde die Ignoranz als Schweigen mit weißen Feldern gekennzeichnet. Es ist zuwenig, den Tod des Dichters anzuerkennen. Viel und lang ist seit vielen Jahren über den Tod gesprochen worden – nicht nur im Zusammenhang mit Jura Soyfer. Das Leben – und in diesem Falle die Poesie – werden aber weithin gerade in Österreich nicht zur Kenntnis genommen. Und der Tod ist von begrenztem Interesse, da er jedem von uns bevorsteht, aber einen Endpunkt des Lebens darstellt. Die Soyfersche Poesie dagegen ist voll Leben, das zur Kenntnis genommen werden könnte. Und gerade aus diesem Grund möchte ich eines meiner Lieblingslieder an den Schluß dieses Editorials stellen. Versuchen Sie einfach nicht, das Gedicht auf die Person Soyfer zu reduzieren, der auch als Vagabund mit wenig Geld durch die Landschaften zog, auf die literarischen Bezüge (Villon zum Beispiel), sondern versuchen Sie, dieses Lied als ein komplexes Angebot zu verstehen, über ihr Leben nachzudenken, gerade über unser heutiges Leben:
Wie auch diese Nummer der Zeitschrift "Jura Soyfer" zeigt, gibt es Menschen (große Schauspieler, Denker, aber auch eine Vielzahl anderer Menschen), die zum Teil fast ihr Leben lang von den Texten des Dichters Jura Soyfer begleitet wurden, denen sie immer wieder neue Seiten abgewannen. Vielleicht sollte dies ein Anlaß sein, darüber nachzudenken, sich nicht in oberflächlicher Form mit Soyfer und seinem Werk auseinanderzusetzen, die Angebote in Form der Ausgabe und der CD zu nutzen, ihn für unser heutiges Leben zu entdecken, das doch wahrscheinlich auch ein bisschen reicher ist, als daß es sich auf politische Zuordnungen und Stichworte zur Tätigkeit reduzieren ließe. Herbert Arlt |
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